Kampf
oder Dialog der Kulturen?
Religiöser Funtamentalismus oder ein gemeinsames Weltethos?
Dr.
Martin Bauschke
Arbeite man jahrelang im
christlich-islamischen Dialog, so sollte man nicht zu denjenigen gehöre,
die wie Samuel Huntington vor der grünen Flagge des Propheten meinen,
warnen zu müssen. Man sollte die Gefahr des Fundamentalismus - aber
auch die Gefahr, die von falschen oder nur einseitigen Informationen
ausgeht, die Gefahr die Vorurteile, Klischees und unzulässige
Verallgemeinerungen mit sich bringen, sehen. Man sollte erkennen, dass
es Alternativen gibt zum Kampf der Kulturen. Die
Gefahr des religiösen Fundamentalismus soll man erkennen, aber
auch von dem Gegenkonzept, dem sich die Stiftung Weltethos, aber auch
die Vereinten Nationen verschrieben haben, informiert sein: dem Dialog
der Kulturen und Religionen auf der Basis eines gemeinsamen Ethos aller
Menschen.
1. Was ist „Fundamentalismus“
überhaupt?
Eigentlich sollte man das Wort
„Fundamentalismus“ meiden. Denn
dieser Ausdruck ist vor allem in den Massenmedien zum Schlagwort
geworden, ja es wird missbraucht als ein Kampfbegriff besonders in bezug
auf „den Islam“. Damit hat dieses Wort seine Tauglichkeit zu einer
differenzierten Beschreibung realer Phänomene in den Religionen eingebüßt.
Im weiteren Verlauf wird daher von „Extremismus“ gesprochen
und der Begriff „Fundamentalismus“ für das Phänomen verwendet, das
religions-geschichtlich mit der Entstehung dieses Begriffs verbunden
ist: den christlichen Extremismus.
Zunächst einmal ist religionsphänomenologisch
festzustellen: der Extremismus ist eine Gefahr aller Religionen,
keineswegs nur des Islams. Dies belegen neuere Studien in den 90er
Jahren eindeutig. Dabei ist wichtig zu betonen, dass der Extremismus
nirgends ein Wesensmerkmal der von ihm betroffenen Religionen ist.
Religionen sowie die von ihnen durchdrungenen Kulturen und
Gesellschaften zeigen mehr oder minder deutliche extremistische
Tendenzen, aber keine von ihnen ist ihrem Wesen nach
extremistisch. Solche pauschale Verurteilung einer Religion oder
Kultur als wesensmäßig fundamentalistisch, wie das Samuel Huntington
oder Peter Scholl-Latour tun, ist nicht Ausdruck wissenschaftlichen
Denkens, sondern geradezu eine Dämonisierung anderer Religionen. So,
wie es etwa auf dem Gebiet des Terrorismus auch das Phänomen des
Staatsterrorismus gibt, so gibt es im Bereich des Fundamentalismus nicht
nur einen religiösen, sondern auch einen politologischen
Funda-mentalimus. Den kulturell Fremden und religiös Andersglaubenden
pauschal zu betrachten und dann noch zu verteufeln,
ist ein Kennzeichen extremistischen Denkens. Diejenigen, die das
tun und dann vom globalen „Kampf der Kulturen“ sprechen, sind
politologische Fundamentalisten.
Die konkrete Wirklichkeit der
Religionen sieht anders aus und hat viele Facetten und Gesichter Die
religiösen und kulturellen Welten des Judentums, des Christentums und
des Islams sind keine monolithischen Blöcke, sie sind keine homogenen
Gebilde. Vielfalt in Raum und Zeit ist ihr Merkmal. Ein Blick in die
Geschichte zeigt: jede Religion hat im Laufe ihrer Entwicklung diverse
Formen ihrer Selbstauslegung angenommen. Das Judentum hat viele
Gesichter, ebenso das Christentum und der Islam. Man nennt die
unterschiedlichen Strömungen Zivilisationsstile oder Kulturmilieus.
Idealtypisch lassen sich insgesamt fünf verschiedene Hauptströmungen
innerhalb der jüdischen, der christlichen und der islamischen Welt
unterscheiden:
1. der Säkularismus (oder
Materialismus), der jegliche Religiosität und Spiritualität zugunsten
eines praktischen Atheismus bzw. Agnostizismus preisgibt,
2. der Liberalismus (oder
Reformismus bzw. Modernismus), der auf eine Synthese von Tradition und
Moderne hinarbeitet,
3. die breite Mitte in jeder
Kultur und Religion bildet der Konservativismus (oder Traditionalismus
bzw. Orthodoxie),
4. der Extremismus, den wir
gleich noch näher charakterisieren werden, und
5. der Radikalismus (oder
Terrorismus), der im Prinzip dieselben extremisten Ansichten vertritt
wie der Extremismus, doch im Unterschied zu diesem die Anwendung von
Gewalt und Terror ausdrücklich befürwortet und praktiziert. Das
bedeutet: jeder Radikale oder Terrorist zeigt ein extremistisches
Denken, aber umgekehrt ist nicht jeder Extremist oder Fundamentalist ein
Terrorist. Das ist wichtig zu unterscheiden.
Man sollte sich also merken: der
Extremismus ist stets nur eine Strömung innerhalb einer ganzen Palette von möglichen Zivilisationsstilen. Und
jede der Weltreligionen verfügt über die gesamte Palette, die man aber
kennen muss, ehe man sich ein Urteil erlauben darf über „"das
Judentum“, „das Christentum“ oder „den Islam“. Genauer gesagt:
wer die ganze Vielfalt kennt, kann gar kein Pauschalurteil mehr abgeben.
Der Extremismus ist in der
zweiten Hälfte der 70er Jahre ganz massiv in Erscheinung getreten und
wird erst seither in der Weltöffentlichkeit wahrgenommen. Es ging
damals Schlag auf Schlag. 1977 muss die Arbeiterpartei Israels
bei den Parlamentswahlen eine schwere Niederlage einstecken und wird zum
erstenmal in ihrer Geschichte aus der Regierung verdrängt. Neuer
Premierminister wird Menachem Begin vom Likkud-Block. Seit damals
gewannen die religiös-extremistischen Gruppen politisch immer mehr
Einfluss, was sich u.a. darin ausdrückte, dass es zu massivem Bau neuer
jüdischer Siedlungen in den besetzten Palästinenser-Gebieten kam. Das
war 1977. Ein Jahr später wird der konservative polnische
Kardinal Karol Wojtila zum Papst gewählt. Dieser hat sich in seinem
Pontifikat zwar nachhaltig für den Dialog der Religionen eingesetzt,
das ist keine Frage. Aber mit ihm gewannen eindeutig konservative bis
hin zu extremistischen Kräften innerhalb der römisch- katholischen
Kirche - also der größten christlichen Denomination - an Einfluss. Das
war 1978.
1979 ist das Jahr der iranischen
Revolution unter Ayatollah Khomeini. Mit einem Schlag erkennt die Weltöffentlichkeit,
welches gesell-schaftsverändernde und politische Potential in der
Religion des Islams steckt - auch wenn es sich hier nur um die
schiitische Richtung handelte. 1980 schließlich ist das Jahr, in
dem Ronald Reagan überraschend zum Präsidenten der USA gewählt wurde.
Seine Wahl war nur möglich, weil er die massive Unterstützung
protestantisch-fundamentalistischer Gruppen bekommen hatte. Mit diesen
Gruppen ging die Reagan-Administration und die Partei der Republikaner
eine enge politische Allianz ein.
Das Folgende stellt eine ganz
knappe Skizze des christlichen, des jüdischen und des islamischen
Extremismus dar.
2. Christlicher Extremismus
Er ist nicht ausschließlich,
aber vorwiegend ein Phänomen im Bereich des
protestantischen,
puritanisch-presbyterianisch geprägten Christentums. 1910 - im selben
Jahr, als Papst Pius X. für die Kleriker den Antimodernisteneid verfügte
- begann in den USA die Schriftenreihe die „The Funfamentals „ zu
erscheinen. 1919 wurde die „World’s Christian Fundamentals
Association“ gegründet. Von diesen Anfängen her stammt die
Bezeichnung „Fundamentalismus“. In etwas abgeschwächter Form
findet sich der christliche Fundamentalismus
auch in einigen asiatischen Ländern wie etwa in Südkorea, aber vor
allem Europa im sog. Evangelikalismus und teilweise auch im Pietismus.
Christliche Fundamentalisten kämpfen
an vielen Fronten: gegen die historisch-kritische Bibelauslegung, die
Evolutionstheorie und die Psychoanalyse, gegen den Katholizismus (bis in
die 60er Jahre), den säkularen Humanismus und den Kommunismus (bis zum
Ende des Kalten Krieges). Auch Kampagnen und Agitationen gegen
Pornographie, Abtreibung und Homosexualität sind typisch. Seit 1979
wird der Islam als bevorzugte Projektionsfläche für
fundamentalistische Feindbild-bedürfnisse mißbraucht. Ambivalent ist
das Verhältnis der Funda-mentalisten zum Judentum: vordergründig und
vorläufig wird zwar der Staat Israel politisch und finanziell unterstützt,
doch im Grunde ist die Haltung dezidiert antijudaistisch.
Fundamentalisten haben ein Pathos für die Endzeit und das sog.
„Tausendjährige Reich Christi“. Sie erwarten die baldige
Vernichtung Israels bzw. die Zwangsbekehrung der Juden durch den
wiederkehrenden Christus selbst. Christlicher Fundamentalismus ist also
in jeder Hinsicht antisemitisch: sowohl antijüdisch als auch
antiislamisch.
Kennzeichnend für den
Fundamentalismus in den USA wie auch zunehmend in Europa und Ostasien
sind die durch die elektronisch .en Massenmedien geprägten Kirchen bzw.
parakirchlichen Gemeinden. Als Autoritäten stehen die
Erweckungsprediger im Mittelpunkt, die sich als Fernsehstars, im
Rundfunk und jetzt auch im Internet hervorragend zu vermarkten wissen.
3. Jüdischer Extremismus
Jüdischer Extremismus, den man
auch Ultraismus nennen könnte, kann sowohl zionistisch als auch
dezidiert antizionistisch sein. Für die meisten Ultra-Rechten oder
Ultra-Orthodoxen ist die gesamte Thora und Halacha kompromißlos die
Richtschnur ihres Lebens und hat die Norm auch im Leben aller übrigen
Juden sowie des Staates Israel selbst zu sein. Dieser ist erst dann
legitim, wenn er auf dem Religionsgesetz gegründet ist, also eine Art
Theokratie darstellt. Nationalistische Ultras fordern die Wieder-
herstellung der davidischen Monarchie und des Tempels mit seinem
Opferkult und treten für die Vertreibung aller
Nichtjuden aus Israel ein, wobei manche Bewegungen geradezu
rassistische Züge annehmen. Kein Wunder, dass der Ultraismus
antichristlich und antiislamisch ausgerichtet ist.
Mystisch-quietistisch geprägt
und jede Art von Zionismus verwerfend sind manche Extremisten, die in
der Tradition des Chassidismus stehen. Sie
sondern sich radikal ab von allem, was nichtjüdisch oder nicht
in korrektem Sinne jüdisch ist. Ihre Kommunitäten versuchen, sich
konsequent von jedem Kontakt mit der Moderne abzuschotten. Der Student
an einer staatlichen Universität ist ebenso zu verdammen, wie einer,
der am Shabbat Auto fährt.
4. lslamischer Extremismus
Für den islamischen Extremismus
- man kann auch Islamismus sagen - ist die Rückkehr zu den
„Wurzeln“ (arab. usul) normativ. Zu diesen Wurzeln zälen vor
allem der Koran, das Vorbild des Propheten Muhammad (sunnah) sowie die
idealen bzw. idealisierten Anfänge der Religion im Frühislam, die
durch die Einheit der Gemeinde (ummah) und die Gleichheit aller
Glaubenden gekennzeichnet werden. Die Rückkehr zu den Wurzeln kann
freilich in der Praxis zu durchaus verschiedenen Auffassungen über den
Stellenwert und das Verständnis des Rechtssystems (der shari oea)
führen. Unstrittig ist unter Islamisten
in jedem Fall, dass die säkulare Trennung von Religion und Staat
zu verwerfen ist. Deren Zusammenhang und Einheit (din wa-dawla)
gilt es vielmehr wiederherzustellen.
Eben dies unterscheidet
Islamisten von islamischen Traditionalisten: dass
erstere unter der islamischen Religion zugleich ein für alle
normatives politisches und gesellschaftliches Ordnungssystem (al-nizam
al-islami) verstehen. Für alle bedeutet: zuallererst für die
Muslime selbst. Vor der (erhofften) Islamisierung des Westens kommt die
Islamisierung der islamischen Welt. Islamisten sind - ebenfalls im
Unterschied zu den meisten Traditionalisten - in der Regel gut mit der
westlichen Kultur und Bildung vertraut. Nicht nur aber besonders
deutlich ist im Islamismus zu beobachten: auf der einen Seite werden die
technischen und materiellen Errungenschaften der Moderne gerne übernommen
und für die eigenen Interessen genutzt; auf der anderen Seite jedoch
wird der säkulare, aufklärerische
Geist der Moderne abgelehnt. Durchaus zu Recht kann
man diese Ambivalenz „Traum von der halben Moderne“
nennen (Bassam Tibi) – was freilich nicht nur für die Islamisten
gilt, sondern generell auf den religiösen Extremismus der Gegenwart
zutrifft.
An der Wege des Islamismus steht
die „Muslim-Bruderschaft“ (al-ikhwan al-muslimun), die
1928 in Ägypten von Hassan al-Banna gegründet wurde,. Nur neun Jahre
nach der Gründung der „World’s Christian Fundamentals
Association“ in den USA. Von Anfang an – ertfaltete die Bruderschaft
eine soziale, karikative, Bildung und Beschäftigung fördernde Tätigkeit:
Schulen, Moscheen, Krankenhäuser, Sportanlagen, Werkstätten usw.
wurden gegründet - bis heute ein Merkmal des islamischen Extremismus. Führende
Ideologen des Islamismus waren und sind Muslimbrüder. Zu einer breiten
Bewegung wurde der Islamismus
nicht erst mit der Revolution im Iran, da ist erst die Weltöffentlichkeit
erwacht.
Der Islamismus als große
Bewegung ist eine Folge der Niederlage im
Sechstagekrieg gegen Israel 1967. Islamistische Erscheinungen und
Gruppierungen sind heute über viele der etwa 46 Länder der
islamischen Welt verbreitet
und haben teilweise sogar die Regierungsgewalt erlangt. Fast überall
zeigt sich der Islamismus als eine antijüdische und antichristliche
Bewegung - weit entfernt vom Zeugnis und Geist des Korans.
5.
Gemeinsame Merkmale des jüdisch-christlich-islamischen Extremismus
Nach dieser groben Skizze des jüdischen-christlichen
und islamischen Ex- tremismus sei gefragt: Was sind die gemeinsamen
Kennzeichen des Extremismus
in allen drei Religionen?
Der religiöse Extremismus
entspringt einem tiefliegenden Unbehagen an der
Moderne und reagiert darauf mit ideologischer Abwehr, die sich
bewusst der Religion
bedient. Das globale Phänomen des Extremismus kann also nur
verstanden werden, wenn man das globale Phänomen der Moderne,
auf die der Extremismus
reagiert und deren Teil er zugleich selber ist, vor Augen hat. Der
wichtigsten Aspekte, die den neuzeitlichen Prozess der Moderne
charakterisieren, seien stichwortartig in Erinnerung gerufen. Es
sind
€ die religiöse Pluralisierung:
einheitliche religiöse Landschaften wie das
„christliche Abendland“ verschwanden zusehends, neue
Denominationen und Religionen entstanden bis hin zur „New Age“
-Spiritualität, so dass heutige Gesellschaften zunehmend multireligiös
verfasst sind;
€ die Demokratisierung:
absolutistische und totalitäre Herrschaftsformen wurden abgelöst von rechtsstaatlichen Formen
(Gewaltenteilung, Verfassungsstaat,
Parteienbildung, Grundrechte);
€ die Säkularisierung
und Ausdifferenzierung des gesellschaftlichen Lebens führte zur Trennung von Religion (Kirche) und Staat (religiöse
Neutralität) sowie zur
allmählichen Privatisierung von Religion und zur Etablierung einer
Zivilgesellschaft;
€ die Rationalisierung und Bürokratisierung
aller Lebensbereiche, die den Menschen
immer stärker unter technokratischen Gesichtspunkten in seiner
Funktion für das Ganze betrachtet, so dass der einzelne
anonymisierte Mensch in der
Masse oft nur noch als Nummer und jederzeit austauschbares Teilchen im Räderwerk
erscheint; und
€ die Globalisierung
(die zugleich zur Postmodeme überleitet): sie zeigt sich in
einer sich beschleunigenden Mobilität, einer rasanten
Nachrichten- und Kommunikationstechnik,
der immer stärkeren Vernetzung aller Erdteile in
wirtschaftlicher, politischer, militärischer und ökologischer
Hinsicht, aber auch in einer
immer größeren Schere zwischen Armen und Reichen (Nord-Süd-Gefälle). Das Internet, ein Börsencrash, das Ozonloch, Aids,
Atomreaktorunfälle, die Terroranschläge
vom 1.1. September - alles das sind nicht nur regionale oder
nationale, sondern globale Phänomene, die uns alle betreffen.
Dieser Prozess der Moderne hat
weltweit unter vielen Menschen eine tiefe
Orientierungskrise ausgelöst, die aufgrund zusätzlicher
sozialer und wirtschaftlicher Probleme - Armut, Arbeitslosigkeit,
Migration, Ver-städterung, Politik- und Staatsverdrossenheil - zu
dramatischen Existenz- und Identitätskrisen führten und immer noch führen.
Eindeutigkeit, Verlässlichkeit, Übersichtlichkeit, Gemeinschaftsgefühl,
klare, einfache Antworten auf Fragen - dies alles ist im Prozess der
Moderne abhanden gekommen und wird von den extremistischen religiösen Führern
in neuer Form angeboten.
Der Extremismus in Judentum,
Christentum und Islam ideologisiert und instrumentalisiert die eigene
Religion im Kampf gegen die Moderne.
Quer durch die drei Religionen sind unterschiedliche, aber eng
miteinander zusammenhängende Aspekte dieser Ideologisierung erkennbar.
Sie stellen ganz eindeutig eine Form des Missbrauchs der Religion dar.
Von daher ist es vollkommen glaubwürdig, wenn uns z.B. die Mehrheit der
Muslime in Deutschland und in aller Welt sogleich nach dem 11. September
versichert hatte: „Selbstmordattentate sind zutiefst unislamisch. Ein
echter Muslim, der sich an den
Koran hält, tut so etwas nicht. Das ist ein Verrat an unserer
Religion“.
Im Folgenden werden die vier
wichtigsten Tendenzen, die – in unterschiedlicher Ausprägung - für
alle Formen des jüdisch-christlich-islamischen Extremismus
charakteristisch sind beschrieben.
1. Freund-Feind-Denken: Extremisten erheben einen
absoluten Wahrheits- und Heilsanspruch für ihre Überzeugungen. Mithin
gelten ihnen alle Andersglaubenden - sowohl innerhalb als auch außerhalb
der eigenen Religion als „Ungläubige“, Ketzer“, „Werkzeuge des
Teufels“ usw. Extremisten begegnen ihnen mit ausgeprägter Intoleranz.
Sie fühlen sich dazu berufen, die Andersglaubenden zu missionieren, zu
bekehren, zu retten von der ewigen Verdammnis - sofern Gott sie nicht
ohnehin selber vernichten wird. Extremisten vertreten ein dualistisches
Weltbild, gepaart mit immer neuen Verschwörungstheorien: hier, bei uns,
Gott - dort, bei den anderen, der Satan; hier die Freunde - dort die
Feinde; hier die Erlösten - dort die Verdammten. Die Parole jedes
Extremismus lautet: „Wir wissen, wer wir sind, wenn wir wissen, wer
wir nicht sind und gegen wen wir sind“. Es überrascht nicht, dass
sich dieser Satz bei Samuel Huntington findet. Die extremistische
Ideologisierung der Religion bedeutet also erstens die Dogmatisierung
und Verabsolutierung der eigenen Glaubensposition bei gleichzeitiger
Verdammung aller übrigen Glaubenshaltungen.
2. Gehäusementalität: Extremisten zeigen eine starke
Betonung des Vertikalen. Die Wahrheit kommt immer „von oben“, von
einer absoluten, männlich - patriarchalen Autorität (Gott bzw. sein
Repräsentant auf Erden), deren Offenbarungen und Weisungen unbedingt zu
glauben und zu befolgen sind. Selbständiges Nachdenken und Fragen ist
allenfalls in ganz beschränktem Masse erlaubt. Das Weltbild soll übersichtlich,
eindeutig und geschlossen bleiben, um vor Unsicherheit und Zweifel aller
Art wirksam schützen zu können. Dahinter steckt eine tiefgreifende
Angst vor dem Verlust der eigenen Identität. Karl Jaspers hat 1925
diese Strategie der Selbstimmunisierung in einem
allgemeineren religions-psychologischen Kontext auf den Begriff
des „Gehäuses“ gebracht. „Gehäuse“ meint eine Haltung, von der
sich der betreffende Mensch
einerseits eine Bewahrung vor Nihilismus und Skeptizismus, andererseits
vor der ständigen Auseinandersetzung mit den Konflikten und und Mehr-
deutigkeiten des Lebens verspricht. Der im Gehäuse lebende Mensch ist
weitgehend abgesperrt von allen Grenzsituationen. Die extremistische
Ideologisierung der Religion bedeutet zweitens eine autoritativ verfügte
Verengung des Horizonts, sozusagen ein Aufsetzen von
„"Scheuklappen“, um die Wirklichkeit in ihrer Vielfalt,
Ambivalenz und Anstößigkeit nicht wahrnehmen zu müssen.
3. Buchstabengläubigkeit: Extremisten sind grundsätzlich
der Auffassung, das Wort der Heiligen Schrift werde nur richtig
verstanden, wenn es buchstäblich interpretiert wird. An keinem Satz
darf Kritik geübt werden, da Gott selbst Wort für Wort den Text der
Heiligen Schrift inspiriert und diktiert hat. Es gibt im Prinzip weder
interne Widersprüche im Text noch kann es sein, dass die Auffassungen
der Heiligen Schrift im Widerspruch stehen zu Erkenntnissen der
Wissenschaften aller Zeiten. Die extremistische Ideologisierung der
Religion bedeutet drittens die hermeneutische Engführung im Umgang mit
den Texten auf ein buchstäbliches Verstehen bei gleichzeitiger
Verdammung aller übrigen Deutungsversuche.
4. Totalitätsanspruch: Das Wort der Heiligen Schrift
sowie die maßgeblichen Überlieferungen der Tradition werden als
unmittelbare Handlungsanweisung verstanden sowohl für das tägliche
Leben des einzelnen wie auch für die Gestaltung des gesellschaftlichen
und politischen Lebens insgesamt. Gott ist die alles bestimmende
Wirklichkeit - also muss das Leben nach den Maßstäben und Gesetzen
Gottes ausgerichtet werden, nicht nur das persönliche oder das der
Gruppe , zu welcher die Extremisten jeweils gehören, sondern das aller
Menschen überhaupt. Extremisten haben also kein Interesse an einer
Trennung von Religion und Staat - im Gegenteil: der Gottesstaat oder
wenigstens eine Art Staatsreligion ist das angestrebte politische Ziel.
Die extremistische
Ideologisierung der Religion
bedeutet viertens die Moralisierung des Lebens sowie die Politisierung
der Religion bei gleichzeitiger Verdammung aller anderen Versuche, den
ethischen und gesellschaftlichen Anspruch der Glaubenstradition in die
Praxis umzusetzen.
6. Die Alternative zum
Extremismus
Es gibt eine Alternative zum :
Extremismus: den Dialog der Religionen und Kulturen. In allen
Religionen gibt es und gab es immer auch tolerante Menschen. Früher
waren das weitgehend einzelne Stimmen, „einsamer Rufer in der Wüste“,
deren Idealismus man bestenfalls müde belächelt hat. Doch seit der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lässt sich ein nachhaltiges
Umdenken in den Religionen beobachten: eine zunehmende Abkehr immer
größerer Kreise und Gruppen von der Intoleranz und eine Hinwendung zur
Toleranz, zum Dialog, zur wahrhaftigen Begegnung und Versöhnung mit
Andersglaubenden. Das wichtigste Beispiel für diese globale
„Trendwende“ ist ein Großereignis im Jahre 1893.
Anlässlich der Weltausstellung
in Chicago wurde von einem Gremium, dem Vertreter aus 16 verschiedenen
religiösen Gruppierungen angehörten,
ein Parlament der Weltreligion vorbereitet. Am Morgen des 11.
September 1893 betraten
unter dem Jubel von 4.000 Zuschauern Vertreter von etwa 50 bis 60
verschiedenen Religionen und Konfessionen Arm in Arm die
Kolumbushalle im „Memorial Art Palace”: Hindus, Buddhisten, Jainas,
Zoroastrier, Taoisten, Konfuzianer, Shintoisten, Juden, Christen und
Muslime – alle in ihren religionstypischen
Farben und Gewändern.
Das Ziel des ersten
Religionsparlaments überhaupt in der Geschichte war es,
eine neue Ära der weltweiten (damals hieß es noch) „Brüderlichkeit
der Religionen“
zu realisieren. In den folgenden einhundert Jahren hat sich eine
globale interreligiöse Dialogbewegung entwickelt. Immer
deutlicher wurde erkannt, dass es ohne Geschwisterlichkeit der Religionen auf
der Grundlage toleranter,
gleichberechtigter Partnerschaft nicht nur keine Versöhnung zwischen
den Religionen selbst gibt, sondern auch keinen dauerhaften
Frieden unter den Völkern.
Diese Einsicht hat der weltweit
renommierte Tübinger katholische Theologen
Hans Küng auf den Punkt gebracht. Das war 1990 mit dem Buch:
„Projekt Weltethos“'. Die ersten Sätze sind drei programmatische
Thesen:
„Kein Überleben (sc. der
Menschheit) ohne Weltethos. Kein Weltfriede ohne
Religionsfriede. Kein Religionsfriede ohne Religionsdialog“.
Die entscheidende Frage ist natürlich:
Welcher Dialog der Religionen ist für den
Weltfrieden unverzichtbar? Was für eine Art von Dialog soll
zwischen den Religionen geführt
werden, wenn er denn ihrer aller friedensstiftendes Potential
entbinden soll? Die doppelte Antwort lautet: Es darf dies kein
dogmatischer Dialog sein,
sondern muss ein ethischer Dialog sein. Und: Der Dialog sollte
bei den Gemeinsamkeiten
anfangen und die Unterschiede oder Gegensätze
zurückstellen.
Diese Antwort fand ihren Ausdruck
in der sog. „Erklärung zum Weltethos“.
Diese Erklärung wurde drei Jahre nach dem Erscheinen des Buches
von Hans Küng auf dem 2.
Parlament der Weltreligionen verabschiedet. Dieses fand
genau 100 Jahre nach dem ersten Parlament statt, genau am selben
Ort. Rund 6.500
Vertreterinnen von etwa 250 Religionen, Denominationen und religiösen
Gruppen nahmen an der einwöchigen Versammlung teil.
Bei der Weltethos-Erklärung ,
die übrigens der Dalai Lama als erster
unterschrieb - geht es um einen ethischen Grundkonsens,
der für das Überleben der
Menschheit und für die zunehmende Globalisierung aller
Lebensbereiche notwendig erscheint. Ganz entscheidend ist dabei:
die Erklärung formuliert
diese ethischen Standards in einer Weise, die nicht auf eine bestimmte
religiöse Überzeugung festlegt. Sie kann im Prinzip
auch von nichtreligiösen Menschen, von Atheisten und Nihilisten
akzeptiert werden - natürlich unter der
Voraussetzung, dass sie ein Interesse am Zusammenleben und Überleben
der Menschheit haben.
Die beiden Prinzipen der
Weltethos-Erklärung sind:
1. Die Humanität:
„Jeder Mensch soll menschlich behandelt werden“.
Das Mensch-Sein und die damit verbundene unveränderliche
Menschenwürde ist das, was allen Menschen unbestreitbar gemeinsam ist.
Das Recht auf menschliche Behandlung meiner Person schließt allerdings
die eigene Pflicht ein, andere menschlich zu behandeln.
2. Das Prinzip der Gegenseitigkeit:
Wir kennen die sogenannte „Goldene Regel“ im Deutschen als
Sprichwort: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch
keinem anderen zu!“ Dieses Prinzip im Verhalten der Menschen
zueinander gibt es in allen religiösen und ethischen Traditionen in
ganz ähnlicher Formulierung.
Konkretisiert werden diese beiden
Prinzipien in einer Reihe von Werten und Normen, die ebenfalls überall
wiederzufinden sind:
1. Die Werte der Gewaltlosigkeit
und der Ehrfurcht vor allem Leben
> Norm: Du sollst nicht töten!
Positiv: Habe Ehrfurcht vor dem Leben!
2. Die Werte der Solidarität und
Gerechtigkeit gerade im Bereich der Weltwirtschaftsordnung
> Norm: Du sollst nicht stehlen! Positiv: Handle gerecht
und fairl
3. Die Werte der Toleranz und der
Wahrhaftigkeit
> Norm: Du sollst nicht lügen oder täuschen!
Positiv: Rede und handle wahrhaftig!
4. Die Werte der
Gleichberechtigung und der Partnerschaft von Mann und Frau
> Norm: Du sollst die Sexualität
nicht missbrauchen! Positiv: Achtet und liebet einander!
Man sollte erkennen: die
Weltethos-Erklärung will nicht „das Rad neu erfinden“ bzw. die
bisherigen philosophischen oder religiösen Ethiken ersetzen. Sie macht
nur bewusst und bekannt, was den verschiedenen religiösen und
ethisch-philosophischen Traditionen längst bekannt und gemeinsam ist: nämlich
ihre uralten Werte und Richtlinien im Umgang miteinander.
Und das zweite, was man hier
feststellen muss, ist: die Weltethos-Erklärung ist kontrafaktisch
ausgerichtet. Die Deklaration eines Weltethos bedeutet noch nicht seine
Realisation. Das extensive, flächendeckend konzipierte Weltethos nicht
seine muss allerorts als Lokalethos intensiv weiterentwickelt und
ausdifferenziert werden. Das muss mit Hilfe der jeweils konkret vor Ort
vorhandenen ethischen Traditionen geschehen. Die Devise heißt also:
„global denken - lokal handeln“. Auf dem weiten Weg solcher
Re-Lokalisierung eines menschheitlichen Ethos müssen zahllose kleine
Schritte zahlloser einzelner Menschen gemacht werden. Beim einzelnen
muss der Anfang gemacht werden, wie die Erklärung selber sagt: „Auf
der Ebene der Nationen und Religionen kann nur praktiziert werden, was
auf der Ebene der persönlichen und familiären Beziehungen bereits
gelebt wird“.
7. Weltethos und Vereinte
Nationen
Die wenigen Jahre seit der
Weltethos-Erklärung von Chicago sind nicht wirkungslos verstrichen.
1995 wurde in Tübingen die
erste gemein- nützige Stiftung Weltethos gegründet. In anderen
Ländern Europas sind weitere nationale Weltethos-Stiftungen gegründet
worden, in Holland,
Tschechien und der Schweiz.
Nun könnt man vielleicht der
Meinung sein: alles schön und gut - aber das sind Ideen von religiösen
und humanistischen Träumern. Religion interessiert mich
nicht. Wer dieser Meinung ist, hat die Tragweite des 11.
September 2001 noch nicht begriffen. Man sollte sich klar machen: der
Weg konsequenter Säkularisierung und Religionslosigkeit, wie er in
Europa und besonders hier in den Neuen Bundesländern verbreitet ist,
ist global betrachtet eine Ausnahme, ein Sonderweg. Der weltweite
Vergleich zeigt im Gegenteil: Religion
ist in den meisten Ländern und
Kulturen dieser Erde nach wie vor eine
eminent identitäts- und kulturstiftende Macht, mit einem Wort:
ein gesellschaftlicher und
politischer Haupt-faktor. Dies zu ignorieren, wäre töricht, naiv. Das
würde uns für Fundamentalismen aller Art sehr angreifbar machen.
Das haben auch die diversen
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und auch
die Vereinten Nationen erkannt. Immer mehr nichtreligiöse
Organi-sanisationen erheben inzwischen die Forderung nach einem für
alle Menschen gültigen
Ethos. Hierzu eines von vielen Beispielen. 1997 hat der InterAction
Council, bestehend aus 25 früheren Staats- und
Ministerpräsidenten, dem u.a. Helmut Schmidt und Michail
Gorbatschow angehören, den
Vereinten Nationen einen konkreten Vorschlag für einen konkreten
Vorschlag für eine „Allgemeine Erklärung der Menschen-pflichten“
präsentiert.
Die meisten von und wissen, 1948
wurde von den Vereinten Nationen die „Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte“ , die 30 Artikeln und eine Präambel umfasst,
verabschiedet. An einer einzigen Stelle dieses überaus wichtigen
Dokuments wird auf die
Bedeutung auch von Menschen-pflichten hingewiesen, nämlich in Art.29.
Dort heißt es ganz allgemein, aber grundsätzlich: „Jeder Mensch
hat Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und
volle Entwicklung seiner
Persönlichkeit möglich ist“.
Was das konkret heißen könnte -
das eben formuliert die „Allgemeine
Erklärung der Menschenpflichten“. Viele Kulturen verstehen
menschliche Beziehungen
mehr unter dem Aspekt von Pflichten als von Rechten. Dies gilt
zum Beispiel für weite Teile östlichen Denkens. Während im
Westen seit der Aufklärung
die Begriffe von Freiheit und Individualität betont wurden, herrschen
in den orientalischen und asiatischen Kulturkreisen die Begriffe von
Verpflichtung und Gemeinschaft vor. Der Begriff der Menschenpflichten
(„human responsibilities“)
dient der Ausbalancierung der beiden Pole Freiheit und
Verantwortung. Während Rechte mehr auf Freiheit bezogen sind, sind
Pflichten mit Verantwortung verbunden. Trotz dieser Unterscheidung sind
Freiheit und Verantwortung gegenseitig von einander abhängig. Je größer
die Freiheit ist, die wir genießen, umso mehr Verantwortung haben wir
zu tragen, anderen wie uns selbst gegenüber. Ohne die rechte Balance
ist unbegrenzte Freiheit ebenso gefährlich wie aufgezwungene
Verantwortung. Die Menschenpflichten-Erklärung ist sozusagen die säkulare
Fassung der Weltethos-Erklärung, geprägt von politischer
Ausdrucksweise. Aber inhaltlich orientiert sie sich durchweg eng an
Inhalt und Aufbau der Weltethos-Erklärung. Art.4 zitiert dabei - wie
die Weltethos-Erklärung 1993 - sogar ausdrücklich die Goldene Regel.
Immer geht es um das Prinzip der Gegenseitigkeit von Rechten und
Pflichten.
Nach diesem Vorstoß von Seiten
des InterAction Councils arbeiten die Vereinten Nationen unter
Leitung des Generalsekretärs Kofi Annan gegenwärtig an einem neuen
internationalen Konzept zur Gestaltung der Beziehungen zwischen
Nationen, Religionen und Kulturen. Dieses Konzept letztlich einer neuen
Weltordnung steht im Zeichen des Dialogs und des friedfertigen
Zusammenlebens aller Menschen. So hatte die UNO das Jahr 2001 zum
Jahr des „Dialogs der Kulturen“ ausgerufen - gegen die
Theoretiker eines Kampfes der Kulturen und ihre fundamentalistischen
Praktiker in den diversen Religionen: Ein erstes Ergebnis der 20köpfigen
Expertengruppe aus aller Welt, die im Auftrag von Kofi Annan im
vergangenen Jahr mehrfach tagte und ihre Überlegungen diskutierte, ist
der vor wenigen Wochen erschienene Band „Brücken in die Zukunft“.
Ein weiteres Ergebnis ist die Weltethos-Debatte in der
UNO-Vollversammlung im November 2001, wobei Hans Küng ein ausführliches
Statement abgab. Zum Abschluss der Debatte verabschiedete die
UNO-Vollversammlung einstimmig eine ent-sprechende Resolution, in der
sie den globalen Dialog der Kulturen zur bleibenden Agenda der Vereinten
Nationen erklärt. Bei diesem Dialog komme der Ausarbeitung
gemeinsamer ethischer Standards im Sinne eines globalen Ethos,
das alle Völker, Kulturen und Religionen verbindet, entscheidende
Bedeutung zu. Das Projekt Weltethos hat also inzwischen die höchste
politische Akzeptanz gefunden, die man sich nur denken kann. Nicht zufällig
war eine Wanderausstellung schon in New York, in der Stadt des 11.
Septembers , zu sehen, direkt im Hauptquartier der UNO.
8. Dialog oder Extremismus
Dialog der Religionen bzw.
Kulturen und Extremismus bzw. Kampf der Kulturen - diese beiden Konzepte
sind Ausdruck für miteinander konkurrierende Zivilisationsstile. Sie
konkurrieren miteinander, weil die Haltungen, die ihnen zugrunde liegen
- der Geist der Offenheit und Akzeptanz auf der einen Seite, das
ideologische Freund-Feind-Denken auf der anderen Seite -, harte Gegensätze
sind. Der Extremismus gefährdet sowohl die jeweils eigene Religion
und Kultur als auch religions- und kulturübergreifend das gesamte
Unternehmen der Moderne. Nicht nur die Zukunft des Verhältnisses
der drei Religionen zueinander, sondern die Zukunft der Völkerfamilie
insgesamt hängt also entscheidend davon ab, ob sich bei der großen
Masse der Gläubigen die Befürworter
des Dialogs oder die Extremisten durchsetzen werden.
Man sollte sich stets für
Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Religionen einsetzen. Doch wo
der Geist solcher Toleranz
durch totalitäre Ansprüche gefährdet wird, da ist der
einzelne gefordert, spirituellen, gesellschaftlichen und
politischen Widerstand zu leisten.
Dieser Widerstand dient dem Schutz der eigenen Glaubensfreiheit, der
Glaubensfreiheit der Andersglaubenden und nicht zuletzt der
Freiheit derer, die nicht
glauben können oder wollen.
Möge dieser Geist der
Freiheit, der zum Dialog der Kulturen und Religionen
animiert, sich als stärker und als überzeugender erweisen als
alle extremistischen
Parolen und Agitationen! Dieser Geist der Freiheit braucht aber
ein moralisches Fundament, ein gemeinsames Ethos aller Menschen,
die sich trotz bleibender
Unterschiede in bestimmten Werten und Normen miteinander
verbunden wissen. Nur so können sie in friedlicher und gerechter
Weise die eine Menschheitsfamilie
sein und bleiben. |