Interreligiösität
hat Konjunktur. Im Kontext postmoderner Beliebigkeit gehört es beinahe zum
guten Ton, wenn schon Religion, dann seine eigene sich aus dem vielfältigen
Angebot des weltumspannenden Marktes religiöser Möglichkeiten
zusammenzustellen. Gleichzeitig steht auf der Ebene des wissenschaftlichen
Diskurses, in den Religionswissenschaften, der Religionsphilosophie, und wohl
auch der Theologie, in der Regel das Gemeinsame der unterschiedlichen
„religiösen“ Phänomene und Kulturen sehr viel stärker im Vordergrund
als das Trennende. Zugleich aber ist dies nur eine Seite der komplexen religiösen
und geistigen Gemengelage der Gegenwart. Dieser steht das viele ängstigende
Phänomen des Fundamentalismus gegenüber. Hier handelt es sich bekanntlich um
eine religiös geprägte Denk- und Lebensform, die sich abschottet und die
jeweils anderen als minderwertig und als Gefahr empfindet - offensichtlich
nicht zuletzt ein Protestsymptom gegen den postmodernen Verlust religiöser
Identität, das zeigt, daß die Frage der Vergleichbarkeit, der Dialogfähigkeit
und möglicherweise der Synthetisierbarkeit der Religionen alles andere als
rein theoretisch bzw. eine Frage je persönlichen Geschmacks ist, geschweige
denn daß sie gelöst und entschieden wäre.
Es geht hierbei um die individuell lebenspraktische, weit darüber hinaus aber
vor allem politisch und kulturell brisante Frage nach den Möglichkeiten und
Grenzen des Zusammenlebens der sich ökonomisch unaufhaltsam immer mehr
globalisierenden Menschheit. Bedeutet diese Globalisierung das Ende der
traditionellen „religiösen“ Kulturen, die sich über lange Epochen unabhängig
voneinander bzw. in ausdrücklicher Distanz zueinander, und nicht selten in
Ablehnung und Feindschaft gegeneinander entwickelt und gehalten haben? Oder
sind „die Religionen“ und ihre jeweiligen Kulturen gerade heute jener
identitätsstiftende Bereich, und deshalb von neuer Attraktivität, der die
technische, ökonomische und informationelle Globalisierung, die Aufhebung
aller Grenzen und Unterschiede, erträglich machen kann, und zwar gerade
dadurch, daß hier noch Unterschiede sein und konkret gelebt werden dürfen?
Die
hier angedeuteten aktuellen Probleme lassen sich nicht lösen, indem man aus
bestimmten Interessen oder Überzeugungen die eine oder andere Seite von
„Religion“ stark zu machen versucht. Weder fundamentalistisches Beharren
auf dem Wahrheitsanspruch einer bestimmten Religion, noch das Plädoyer für
relativistischen Religionspluralismus, gar einen, der die Wahrheitsfrage um
des Friedens, der Verständigung oder auch der Anschlußfähigkeit an
Zeitgeistströmungen willen für obsolet erklären möchte, dürften hier
wirklich sachgerecht und hilfreich sein. Ohnehin kann nur eine sehr oberflächliche,
freilich weit verbreitete Sichtweise darin einen Gegensatz und somit eine
wirkliche Alternative erkennen, vor die wir uns gestellt sehen. In der Sache
sind sich nämlich beide Positionen sehr nahe und bedingen einander, ja sie
sind geradezu spiegelbildlicher Ausdruck eines gemeinsamen Zeitgeistes, der
weithin gängigen Auffassung nämlich, daß Religion und kritisches Bewußtsein,
welche Religion auch immer im Spiel sein mag, jedenfalls zu unterscheiden, gar
zu trennen sind bzw. sich letztlich ausschließen. Ob religiöse Überzeugung
scheintolerant subjektiver Beliebigkeit überlassen bleiben soll oder ob ein
Regime meint, die ihm genehme Religion mit institutionellen, staatlichen
Mitteln absichern zu müssen, um sie bzw. durch sie v. a. sich selbst gegenüber
kritischem Denken stabil halten zu können - in beiden Fällen wird
vorausgesetzt, daß Religion nicht die Kraft und damit auch nicht das Recht
hat, sich aus sich selbst, aus ihrem Wahrheitsanspruch heraus zu legitimieren.
Diese
fundamentale Gemeinsamkeit dürfte der Grund dafür sein, daß postmoderne
Beliebigkeit und Fundamentalismus gleichzeitige Phänomene sind, nicht selten
wie scheinbar zwei Seelen in einer Brust einer Gesellschaft, ja sogar
Einzelner Menschen nebeneinander bestehen, aber auch daß es immer wieder zu
theologischen bzw. religionsphilosophischen Kompromissversuchen kommt, weil
ein anderer Weg kaum möglich, ein Kompromiss unumgänglich, am Ende aber auch
durchaus naheliegend erscheint. Als geradezu klassischer Kompromissversuch ist
der sogenannte „Inklusivismus“ zu verstehen, der einerseits
fundamentalistischen Exklusivismus vermeiden möchte, indem er prinzipiell
alle Religionen für miteinander vermittelbar und für einander offen erklärt,
etwa weil sie „letztlich“ das gleiche Ziel haben, also nur
unterschiedliche Wege dorthin darstellen, der andererseits aber doch am
Wahrheitsanspruch der je eigenen Religion festhält, etwa indem er erklärt,
diese sei letztendlich doch der beste Weg zum Ziel, oder indem er anderen
Religionen zugute hält, zumindest Elemente der selbst für wahr gehaltenen Überzeugung
zu enthalten.
Offensichtlich
ist es jedoch solchen Konstruktionen bisher weder theoretisch noch praktisch
gelungen, aus dem angedeuteten Dilemma herauszukommen, ohne daß entweder die
Identität und der Selbstanspruch der jeweils eigenen religiösen Überzeugung
oder aber deren Vermittelbarkeit mit je anderen Positionen, Kulturen und
Glaubensvollzügen, ihre Toleranz und Dialogfähigkeit, und nicht selten
beides zugleich, zum Problem geworden wäre.
I.
Kant war der Auffassung, daß religiöser Friede nur herstellbar sei, wenn
Religionen einsehen, daß es ihnen nicht um die Erkenntnis göttlicher
Wahrheit, sondern um moralische Pflichten gehe, die „als göttliche
Gebote“ den Menschen nicht überfordern, weil sie ihn eher überzeugen als
rein theoretischen Sätze wie der „kategorische Imperativ“.
Religion wird so zum pädagogischen Hilfsmittel zur Durchsetzung moralischer
Prinzipien. Ein solches sogenannt aufgeklärt-kritisches Denken vergleicht
somit Religionen vornehmlich unter Rücksicht der Frage, ob und wie sie es dem
Menschen ermöglichen, moralisch zu leben, und kommt zu dem Schluß, daß die
verschiedensten Religionen letztlich unter diesen „kritischen“
Religionsbegriff zu subsumieren sind. So scheint Religion überhaupt und
scheint nicht zuletzt das Nebeneinander unterschiedlicher Religionen auch im
Kontext kritisch-aufgeklärter Gesellschaften möglich und tolerierbar, ja
vielleicht sogar erwünscht. Klassisch bringt dies Kant auf den Punkt, wenn er
konstatiert: „...es gibt nicht verschiedene Religionen, aber wohl
verschiedene Glaubensarten an göttliche Offenbarung und deren statutarische
Lehren, die nicht aus der Vernunft entspringen können, d.i. verschiedene
Formen der sinnlichen Vorstellungsart des göttlichen Willens, um ihm Einfluß
auf die Gemüter zu verschaffen, unter denen das Christentum, soviel wir
wissen, die schicklichste Form ist“.
Im
Gefolge dieses sich „religionskritisch“ verstehenden Impulses der Aufklärung
sind wir es weithin gewohnt, die komplexe Problematik der Religionen unter dem
Blickwinkel eines solchen, alle religiösen Phänomene übergreifenden
Allgemeinbegriffs „Religion“ zu sehen. Dessen Sinnspitze besteht somit,
jedenfalls nach gängiger, weithin selbstverständlich gewordener Auffassung,
darin, als „aufgeklärter“ vor allem „kritisch“ zu unterscheiden
zwischen der Religion als je subjektiver Überzeugung und deren
„eigentlicher“ Funktion für das jeweilige religiöse Individuum bzw. die
Gesellschaft. Die Inhalte einer Religion, deren Wahrheitsanspruch als solcher,
mit dem diese auf bestimmte Fragen antworten, die Menschen ansprechen und
herausfordern möchte, sind kaum mehr Gegenstand solcher Religionskritik. Es
geht ihr zumindest primär um die Frage, in welchem Verhältnis die jeweilige
Religion zur individuellen oder gesellschaftlichen Lebenspraxis, zur
„Moralität“ steht.
Auf
der Basis eines solchen Religionsverständnisses werden heute „die
Religionen“ in den „Religions“-wissenschaften, in der
„Religions“-philosophie und nicht zuletzt einer inter-„religiös“
orientierten Theologie zum Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung, zugleich
aber weit darüber hinaus zur Ware auf dem globalen religiös-weltanschaulichen
Markt. Doch kann im Blick auf die gegenwärtige religiöse und politische
Weltlage wohl kaum behauptet werden, daß dieses Verständnis von
„Religion“ ihr aufklärerisches Ziel erreicht hat bzw. auch nur auf dem
Weg dorthin ist, nämlich den „ ewigen Frieden“, also gesellschaftliche
Stabilität auf der Basis religiöser Toleranz herbei zu führen.
Angesichts der Rede vom „Kampf der Kulturen“ und des ohne seinen religiös-fundamentalistischen
Hintergrund nicht wirklich verstehbaren Terrorismus liegt es vielmehr näher,
wenn nicht vom Scheitern so doch davon zu sprechen, daß dieses uns mehr oder
weniger geläufige Verständnis von „Religion“ kritischer Revision bedarf.
In
diesem Sinn soll hier die Frage gestellt werden: Ist es denn wirklich
sachgerecht, so unterschiedliche Phänomene wie das Judentum, das Christentum,
den Islam, den Buddhismus und den Hinduismus als „Religionen“ zu
bezeichnen, sie also miteinander zu „vergleichen“, indem sie unter einen
solchen, und zwar konkret unter den hier skizzierten „aufgeklärt-kritischen“
Allgemeinbegriff von „Religion“ subsumiert werden, gleichsam als handele
es sich hier um individuelle Gestalten einer Art - von den unzähligen kleinen
bzw. in der Geschichte längst untergegangenen „Religionen“ und
„Sekten“ ganz abgesehen? Wird hier nicht zwangsläufig ein Verständnis
von außen herangetragen, und zwar unabhängig davon, ob man, wie dies heute
in unterschiedlicher Weiterentwicklung Kants geschieht, eine allgemeine
„Religiosität“ als anthropologische Konstante versteht, die zum
„Wesen“ des Menschen gehört und deshalb als sozusagen unausrottbar
hinzunehmen ist, oder ob man „Religionen“ als aus welchen Beweggründen
bzw. Bedingungen auch immer kulturell gewachsene, aber keineswegs
anthropologisch notwendige Zeichen- und Symbolsysteme definiert, die
menschlicher Kreativitiät entspringen können, aber nicht müssen?
Müßte uns solchen Definitionsversuchen von „Religion“ gegenüber nicht
schon allein hellhörig machen, daß es kaum bestreitbar in jeder
„Religion“, auch im Christentum, zumindest Stimmen gibt, die sich dagegen
verwahren, den eigenen Glauben überhaupt als Religion, als Religion unter
Religionen zu verstehen, also von einem solchen Allgemeinverständnis
vereinnahmt zu werden?
Sind
also „Religionen“ letztlich gar nicht miteinander „vergleichbar“?
Handelt es sich beim aufgeklärt-kritischen Allgemeinbegriff von
„Religion“ um eine semantische Verirrung? Wäre dies so, dann bliebe
nichts, als die unvereinbare Verschiedenheit unterschiedlicher
„Religionen“ zu akzeptieren und am Ende gar nicht mehr von „Religion“
bzw. „Religionen“ zu sprechen. Solchen Überlegungen steht freilich
andererseits schon faktisch entgegen, daß es die „Welt der Religionen“
gibt, und darin unbestreitbar den „interreligiösen Dialog“, und daß
dieser heute gerade bei „religiösen“, und v.a. bei religiös gebildeten
Menschen, nicht zuletzt bei den jeweiligen „Theologen“, höchstes
Interesse findet. Abgesehen davon kann in unserer grenzenlos offenen
Medienwelt kein Bereich sich auf Dauer der Kommunikation mit Anderen
entziehen, sind also „religiöse“ Sonderwelten nur mehr schwer
vorstellbar, ja es finden, wie die Erfahrung zeigt, gerade fundamentalistische
Versuche, sich „religiös“ abzuschotten, um so größeres Interesse von außen
und stellen nicht zuletzt für ihrerseits „religiös“ orientierte Andere
eine besondere Heraus-Forderung dar. Offensichtlich gibt es hier doch
Gemeinsamkeiten. Doch welcher Art sind diese? Was ist es, was das Interesse,
die Neugier gerade an „religiösen“ Phänomenen, an fremden
„Religionen“ weckt und wachhält? Läge es nicht viel mehr in der
Konsequenz der aufklärerischen Religionskritik, „Religionen“ auf sich
beruhen, bestenfalls als Zeugnisses einer überwundenen Vergangenheit gelten
zu lassen, wo wir doch darüber aufgeklärt sind, worum es in religiösen Überzeugungen
„eigentlich“ geht? Offensichtlich ist es weder mit der Religionskritik der
Aufklärung getan - das Scheitern sowohl des atheistischen Marxismus als auch
eines diesem nicht nur zeitlich nahestehenden Modells von säkularer als eo
ipso postreligiöser Welt zeigt dies überdeutlich - noch allerdings mit der
Feststellung der Unvergleichbarkeit, am Ende mit fundamentalistischem Beharren
auf der Einmaligkeit und dem Wahrheitsanspruch einer konkreten „Religion“
und mit dementsprechendem Widerstand, unter einen Allgemeinbegriff subsumiert
zu werden, als konkreter „Fall“ eines Allgemeinen, genannt „Religion“,
zu gelten.
Auf
die damit umrissene, komplexe Problematik, in welchem Sinn denn von
„Religion“ bzw. „Religionen“ überhaupt gesprochen werden kann, wie,
ja ob „Religionen“ überhaupt miteinander vergleichbar sind, kann hier
keine umfassende Antwort gegeben werden. Im Rahmen dieser Problemanzeige soll
versucht werden, auf der Basis sehr konkreter Erfahrungen aufzuzeigen, daß
Verständigung und gegenseitige Anerkennung unterschiedlicher
„Religionen“, anders als ein „aufklärerisches“ Religionsverständnis
nach Kant meint, wachsen, ja vielleicht überhaupt erst wirklich werden können,
wenn die Unterschiede und ggf. Gegensätzlichkeiten gerade nicht nivelliert,
sondern in aller Offenheit markiert, einander gegenübergestellt und nicht,
weder von vorneherein noch als Resultat, in einen theoretischen
Allgemeinbegriff von „Religion“ aufgehoben und so letztlich aufgelöst
werden. Gerade indem weder ein allgemeiner Vorbegriff von „Religion“ noch
ein abstrakter Wahrheitsbegriff vorausgesetzt werden, noch allerdings indem
von einem abstrakten Nullpunkt scheinbarer Neutralität ausgegangen wird,
sondern umgekehrt indem die konkrete Realität der involvierten „religiösen“
Überzeugungen und Wahrheitsansprüche zugelassen, in den Blick genommen und
so miteinander „verglichen“ werden, soll zutage treten, was gemeint sein
kann, wenn wir von „Religionen“ sprechen.
2.
Buddhismus - Erfahrungen eines Christen mit einer fremden Welt
Diese
Überlegungen gehen zurück auf Erfahrungen, die der Verfasser, selbst
katholischer Theologe mit dem Schwerpunkt der Fundamentaltheologie, also der
kritischen Selbstvergewisserung des christlichen Glaubens, machen konnte im
Rahmen eines mehrwöchigen Aufenthaltes in einem buddhistischen Kloster in
Thailand. Ziel dieses Aufenthaltes war es nicht, im Sinne eines eher gängigen
interreligiösen Bewußtseins nach Übereinstimmungen zwischen Christentum und
Buddhismus zu suchen, gar eine „Synthese“ beider „Religionen“ zu
konstruieren.
Unter bewußtem Verzicht auf solche vorgefertigten Ideen wollte Verf. sich
einfach und möglichst vorurteilslos, aber auch ohne seine eigene christliche
und theologische Herkunft, Prägung und Überzeugung zu verleugnen, der Welt
des Buddhismus konkret aussetzen, sich in sie hineinbegeben und schauen, was
geschieht.
Nach
einiger Suche hat Verf. das Kloster WAT PAH NANACHAT AMPHER WARIN, bei UBON
RAJATHANI, einer Stadt im Nordosten Thailands gefunden. Es handelt sich um ein
in der Tradition des thailändischen Theravada-Buddhismus stehendes Kloster,
im letzten Jahrhundert gegründet von dem Meister Ajan Chah, dessen
reformerisches Bestreben es war, sozusagen zu den Quellen des Buddhismus zurückzukehren,
unter Verzicht auf alles Beiwerk den Kern, die eigentliche Intention Buddhas
und sonst nichts zur Grundlage des Lebens im Kloster zu machen.
Die
Erfahrungen des mehrwöchigen Klosteraufenthaltes haben Verf. tief berührt
und geprägt. Es war für ihn einerseits alles andere als leicht, in dieser völlig
fremden Welt zurechtzukommen. Andererseits haben die Umgebung, der tägliche
Lebensrhythmus und der Kontakt mit einem „Meister“, der seit mehr als
zwanzig Jahren als Mönch in diesem Kloster lebt, dazu beigetragen, daß für
ihn „Buddhismus“ nicht mehr nur eine fremde „Religion“ ist, die er aus
Büchern kennt, sondern zur konkreten Erfahrung und bis heute zur nicht
leichten, auch für seine religiöse Existenz bedeutsamen Herausforderung
geworden ist.
Der
für den hiesigen Zusammenhang entscheidende Gesichtspunkt ist: Der
Buddhismus, wie Verf. ihn erlebt hat, ist einerseits eine für ihn, den
Christen, den christlichen Theologen, durch und durch fremde, andere Welt. Die
gelebte Praxis, der Alltag, die Meditation, die „religiösen“ Riten,
Zeichen und Gebärden sind auch nicht entfernt vergleichbar mit entsprechenden
christlichen Gegebenheiten. Jeder Vergleichsversuch erscheint bei näherem
Zusehen als künstlich und oberflächlich. Dies gilt nicht weniger für die
„Theorie“, für die buddhistische Auffassung vom Menschen als Wesen,
dessen größte und gefährlichste Illusion die eines individuellen Selbst
ist, von der Welt als durch und durch vergänglichem und deshalb leiderfülltem
Zusammenhang, und schließlich von „Gott“, dem nicht weniger als dem
Menschen jede Art von „Selbst“ abgesprochen wird, die über den
Zusammenhang von Werden und Vergehen hinausreichen möchte (anicciam
- dhukkam - annatta). So gesehen bestätigt eine solche Erfahrung
und konfrontiert sehr konkret mit der Einsicht, daß Christentum und
Buddhismus nicht unter einem beide verbindenden Allgemeinbegriff von
„Religion“ zusammengefaßt werden können, daß das aufgeklärt-kritische
Religionsverständnis hier nicht greifen zu können scheint.
Doch
ist dies nur die eine Seite. Andererseits war und ist Verf. die konkrete
Begegnung mit dem Buddhismus nicht Erfahrung von so völlig Fremdem, daß er
diesem total verständnis- und hilflos gegenübergestanden wäre. Das schiere
Gegenteil ist insofern der Fall, als gerade diese völlig fremde Welt Verf. in
seinem innersten Kern als Mensch, und zwar als christlich geprägten und aus
christlichen Überzeugungen lebenden Menschen, angesprochen, berührt und
nicht wenig herausgefordert hat. Mit aller Vorsicht sei die Formel gewagt: Der
Buddhismus hat Verf. auf völlig neue Weise mit seinen ureigensten „religiösen“
und „philosophischen“ Fragen, Vorstellungen und Überzeugungen
konfrontiert, allerdings ohne als religiöse Alternative zum Christentum
daherzukommen bzw. gar ähnliche Antworten zu bieten. Um das Gemeinte am
vielleicht entscheidenden Punkt zu konkretisieren: Der Buddhismus stellt mit
seiner Meditationstechnik, mit seinem Verständnis von Einsicht, religiöser
Praxis und Erleuchtung, mit letzter Radikalität vor die Frage nach Gott,
stellt den an den Gott Jesu Christi glaubenden bzw. glauben wollenden vor die
Frage, ob der Ruf nach diesem Gott wirklich nicht im Leeren verhallt.
Allerdings will der Buddhismus gerade Alternative hierzu bieten, sein bzw.
bieten, weder im Sinne eines alternativen Gottglaubens noch im Sinne
atheistischer Gottleugnung im abendländisch-religionskritischen Sinne. Verf.
kann sagen, mit Hilfe des radikal gott-losen, aber keineswegs atheistischen
Buddhismus seinen eigenen Glauben an Gott als personales Gegenüber, als Du,
als Vater, aber auch - eher philosophisch - als letzten Seinsgrund, in seiner
Nicht-Selbstverständlichkeit, als letzte Herausforderung, neu entdeckt zu
haben, ohne damit den Buddhismus am Ende doch dem Christentum bzw. dem abendländischen
Denken und Empfinden gegenüber abzuwerten - das Gegenteil trifft zu - ,
allerdings auch ohne damit nun doch im Sinne einer Art Inklusivismus den
Buddhismus für die eigene Überzeugungswelt zu benutzen. Auch hier trifft das
Gegenteil zu, bleibt es bei der nicht aufzulösenden Fremdheit beider Welten.
3.
Konsequenz: Kritik einer scheinkritischen Allgemeinbegriffs von „Religion“
Lassen
sich also Buddhismus und Christentum miteinander vergleichen oder nicht? Sind
beides „Religionen“? Anhand dieser konkreten Frage soll hier abschließend,
vor dem Hintergrund der kurz explizierten Erfahrungen, exemplarisch erörtert
werden, ob bzw. in welchem Sinn „Religionen“ überhaupt miteinander
vergleichbar sind, um so bei der Frage einen Schritt weiter zu kommen, was wir
unter „Religion“ zu verstehen haben, in welchem Sinn dieser
Allgemeinbegriff überhaupt verwendbar sein kann. Daß es hier mit einigen
wenigen Bemerkungen sein Bewenden haben muß, liegt auf der Hand.
Verf.
ist durch seine konkrete Begegnung mit dem Buddhismus klar geworden:
Christentum und Buddhismus sind nicht vergleichbar als „Religionen“ in dem
Sinne, daß sie sozusagen konkrete, individuelle Ausformungen der Gattung
„Religion“ im Sinne Kants wären. Weder ist der Buddhismus
„eigentlich“ eine Moral, noch enthält er nach eigenem Selbstverständnis
so etwas wie Offenbarung. Der Buddhismus, jedenfalls von dem hier die Rede
ist, lehnt es ausdrücklich sowohl ab, in irgend einer Weise an einen Gott zu
glauben, ein „Glaube“ zu sein, als auch, zu einer bloßen Ethik
herabgestuft, darauf reduziert zu werden. So sehr der Buddhismus auf die
Praxis, auf die Ethik Wert legt und jede Art von „Metaphysik“ oder
„Offenbarung“ ablehnt, so sehr betont er doch die Einsicht in die Wahrheit
dessen was ist, nämlich die Erleuchtung, daß nichts ist als Werden und
Vergehen, als seine eigentliche Sinnspitze.
Von
daher sperrt sich dieser Buddhismus gegen den abendländisch-aufgeklärten
Religionsbegriff und ist in diesem Sinn in der Tat keine „Religion“. Was
sogenannt kritisch-aufgeklärtes Denken unter „Religion“ versteht, stellt
sich so aber als eine Abstraktion christlichen Selbstverständnisses heraus,
die nicht unkritisch von außen an andere, uns fremde Phänomene angelegt
werden darf.
Was
aber ist der Buddhismus dann? Was ist das Verbindende, das die Begegnung mit
ihm gerade für einen Christen und christlichen Theologen so faszinierend
macht, zu einer solchen religiösen, existentiellen und intellektuellen
Heraus-Forderung im buchstäblichen Sinne werden läßt? Verf. ist zur Überzeugung
gelangt, daß dieses Verbindende, das einen Vergleich nun doch, wenn auch in
einem ganz bestimmten, und zwar völlig anderen Sinn möglich macht, gerade
nicht ein aus beiden, aus Christentum und Buddhismus sozusagen
herausdestillierbarer Inhalt, eine beide nun doch verbindende „Wahrheit“
ist. Was beide offensichtlich verbindet, ist vielmehr, daß es sich um zwei völlig
verschiedene, und in diesem Sinn nicht vergleichbare Weisen der praktischen
und theoretischen Bewältigung von Fragen handelt, die unabhängig von bzw.
vorgängig zu jeder religiös-kulturellen Prägung den Menschen als Menschen
beschäftigen und umtreiben. Es handelt sich hier offensichtlich um jene
„Urfragen“ der Menschheit und letztlich jedes einzelnen Menschen, die
kulturenübergreifend in Worte gefaßt werden können, aber nur in einer
jeweils konkreten „religiösen“ Kultur beantwortet bzw. dem Menschen gemäß
bewältigt werden können, die also nicht kulturbedingt, sondern Kultur
stiftend und ermöglichend sind: Woher kommen wir und wohin gehen wir? Wer bin
ich? Was muß ich tun, daß mein Leben gelingt? Was ist gut, was ist böse?
Warum ist überhaupt etwas? Gibt es einen Sinn des Ganzen?
Die
Problematik des abendländisch-aufgeklärten Religionsverständnisses dürfte
somit vor allem darin bestehen, daß dieses - zumindest tendenziell, wie die
Geschichte seit der Aufklärung wohl gezeigt hat - nicht nur die in der
Geschichte der Menschheit hervorgebrachten Antworten auf diese „Urfragen“
im „kritischen“ Sinne als „Religionen“ bezeichnet, d.h. in den Bereich
des bloß Subjektiven zurückdrängt und damit dem Beliebigkeitsverdacht
aussetzt, sondern letztlich die Fragen selbst für obsolet erklärt, als eine
Last empfinden zu können bzw. zu müssen vermeint, die bekanntlich Kant noch
als dem Menschen als Menschen ebenso unlösbar wie unabweislich, Marx aber als
„aufhebbar“, Freud als wegtherapierbar und eine postmoderne „zynische
Vernunft“ für ironisierbar hält.
Die
konkrete Begegnung mit dem Buddhismus hat Verf. die Augen neu geöffnet für
die gefährlichen Illusionen einer solchen, sich für aufgeklärt haltenden
„religionskritischen“ Attitude, die als solche beinahe zwangsläufig dahin
tendiert, äußerlich verbleibende Vorstellungen von „Religion“ mit dem zu
verwechseln, was jeweils Sache ist und somit weithin als nur dem Anscheine
nach kritische vor allem ihrerseits kritischer Neubesinnung bedarf.
Christentum und Buddhismus lassen sich jedenfalls nicht miteinander
vergleichen bzw. vereinbaren, entsprechende Versuche bleiben allemal
theoretische Konstrukte, solange und sofern man vom gemeinsamen Ausgangspunkt
absieht, nämlich dem wirklichen Menschen, d. h. dem Menschen, der die Frage
und Suche nach einem letzten Sinn seines Lebens nicht wegrationalisiert und
den Urfragen der Menschheit nicht ausweicht. Nimmt man diesen gemeinsamen
Ausgangspunkt jedoch ernst, ist die Begegnung mit der je anderen Antwort eine
beglückende und bereichernde Erfahrung, auch und vielleicht gerade dann, wenn
sie die eigene Überzeugungswelt in Frage stellt und zur Selbst-Kritik
herausfordert.
Dies
gilt dann allerdings nicht nur für ihre „Religiösität“, ihren
„Glauben“ bejahende Menschen, sondern könnte durchaus auch solchen
widerfahren, die sich dezidiert als areligiös bzw. religionskritisch, als im
Max-Weberschen Sinne „religiös unmusikalisch“ verstehen möchten,
freilich nur dann und so lange auch sie jene Urfragen zulassen und nicht
scheinkritisch verdrängen. Wer hierfür offen bleibt bzw. sich neu öffnet,
wird, zu welchen Antworten er auch immer kommen mag, und sei es daß er dann
„Religion“ für sich um so entschiedener ablehnt, jedenfalls kaum den
Schluß ziehen können, als „Aufgeklärter“ mit der Welt der
„Religionen“ nichts (mehr) zu tun zu haben. Er wird vielmehr entdecken und
bejahen, daß er auf seine höchst individuelle, mit anderen also
unvergleichliche Weise jedenfalls dieser Welt begegnet ist, vielleicht sogar,
daß er selbst noch im Modus der Distanzierung auch noch so fremd scheinende
Religiosität ernst zu nehmen gelernt hat, wie dies, freilich völlig anders,
auch von genuinen Buddhisten und genuinen Christen gesagt werden kann und muß,
wenn sie sich wirklich begegnen. Es bleibt zu hoffen und zu wünschen, daß
die heute mögliche, konkrete Begegnung mit unterschiedlichen Religionen,
Weltanschauungen und Ideologien dazu führt, in diesem Sinn über jeweils
vorgefertigte Schemata hinaus zu kommen, einander neu achten und anerkennen zu
lernen und so schließlich einer wirklich kritischen, die Wahrheitsfrage nicht
ausklammernden Auseinandersetzung nicht auszuweichen.
Dabei wird es freilich weniger um abstrakte Geltungsansprüche als vielmehr
darum gehen, ob und in welchem Sinn die den Menschen zutiefst bewegenden und
beunruhigenden Fragen gestellt, zugelassen und schließlich beantwortet bzw.
theoretisch und praktisch bewältigt werden. Offensichtlich bedarf
insbesondere ein allzu „abendländisch“ geprägtes Verständnis von
„Religion“ und ein damit zusammenhängendes Verständnis von
„vergleichender Religionskritik“ kritischer Revision, soll exakt dieses
nicht seinerseits angesichts der Herausforderungen der ökonomischen,
politischen und kulturellen Globalisierung in mit religiös-fundamentalistischen
Tendenzen vergleichbare Strömungen abdriften.
Prof.
Dr. Albert Franz
Der
Autor ist Professor für Theologie an der Universität Dresden, BR Deutschland