Die Wiederkehr des Seuchengottes

 von Ingo Nentwig, Leipzig[1]

 

Als Mao Zedong 1958 seine zwei Qilü-Gedichte mit dem Titel „Lebwohl Seuchengott“ schrieb und den Sieg über die Bilharziose (Schistosomiasis) feierte, wollte er den Seuchengott zweifellos für immer verabschieden. In der Aufbruchstimmung der Zeit, getragen von den großen Erfolgen beim Aufbau Chinas in den ersten Jahren nach der Befreiung, noch ungetrübt von den kurz darauf folgenden Rückschlägen („Großer Sprung“) schien Mao kaum etwas unerreichbar, vertraute man nur auf die Mobilisierung der Massen.

Seuchen hatten China Jahrhunderte und Jahrtausende lang geplagt und unzählige Opfer gefordert. Pest und Pocken, Cholera und Ruhr, Bilharziose und Malaria, Lepra, Syphilis, Virusgrippe und viele andere waren gefürchtete Begleiter des Menschen gewesen, manche konstant auf höherem oder niedrigerem Niveau, andere immer wieder durch in unvorhersehbaren Abständen ausbrechende epidemische Heimsuchungen. Die traditionelle chinesische Medizin bot wenig Hilfe und so wandten sich die Menschen verzweifelt, den „Seufzer der bedrängten Kreatur“[2] ausstoßend, an die Religion.

Die chinesische Volksreligion mit ihren unzähligen Gottheiten, Geistern, Dämonen und „Unsterblichen“ bot den Trost einer Illusion, die letztlich doch nur den Zufall verschleierte, im einen oder anderen Einzelfall verschont geblieben zu sein.

Ohne konkrete Berichte zu kennen vermute ich, daß heute nicht nur die chinesische Volksreligion im allgemeinen eine Renaissance erlebt (das ist vielfach dokumentiert und beschrieben worden), sondern auch – im Zeitalter von AIDS und SARS – die Lokalkulte, die sich den „Seuchengöttern“ widmen, wieder aufleben. Spätestens seit SARS ist es an der Zeit, die hier zuständigen metaphysischen Trostspender einmal genauer zu betrachten. 

Die erste Entdeckung, die man notgedrungen macht wenn man sich den Gottheiten des chinesischen Pantheons zuwendet ist, daß es – anders als bei Griechen und Römern – keine kohärente und systematische Mythologie gibt. Neben anderen führt Lu Xun dafür als wichtigsten Grund „das Fehlen einer strikten Trennung zwischen Geistern und Göttern“ an. Er schrieb weiter: „Zumindest in den frühesten Zeiten hatte es zwar eine Trennung zwischen Gottheiten des Himmels und der Erde und den Geistern der Verstorbenen gegeben, aber auch Geister konnten Gottheiten werden. Da Gottheiten und Menschen auf diese Art und Weise sich mischten, konnte sich die frühe Religion nie voll entwickeln.“[3] Mit „Geistern“ sind hier die zu Geistern bzw. „Gespenstern“ gewordenen Seelen verstorbener Menschen gemeint. Somit wäre es falsch, zu erwarten, daß es einen wohl definierten Seuchengott oder eine bestimmte, feststehende Gruppe von Seuchengöttern gibt. Im Gegenteil: Die Überlieferungen sind so vielfältig und widersprüchlich, wie die damit verbundenen lokalen Kulte. Es ist nicht leicht, das Ende eines Fadens zu finden, das man aufnehmen kann ohne gleich wieder ein loses Ende in Händen zu halten. Am sinnvollsten erscheint es mir, von Lu Xuns Bemerkung auszugehen. Wer hat denn – so wird man sich unwillkürlich fragen – die Verbindung zwischen Himmel und Erde getrennt und so wenigstens versucht, für etwas mehr Ordnung zu sorgen? Die Antwort, die die Mythologie hier gibt, ist eindeutig: Zhuan Xu, der zweite der fünf Urkaiser,[4] der von 2490 bis 2413 v.u.Z.[5] regiert haben soll. Er war ein Enkel des ersten Urkaisers, des berühmten „Gelben Kaisers“ (Huang Di). Nachdem er das Amt angetreten hatte befahl er den Gottheiten Zhong und Li, die Verbindung zwischen Himmel und Erde zu kappen und so den freien Verkehr zwischen den Welten zu unterbinden. Nebenbei ist er auch noch für die Unterordnung der Frau und die Vormachtstellung des Mannes, mithin für das Patriarchat, und für die Aufteilung Chinas in neun Provinzen verantwortlich.

In zwei han-zeitlichen Quellen, dem Lùn Héng des Wang Chong (27-104 u.Z.) und dem Dú Duàn des Cai Yong (133-192 u.Z.) heißt es nun übereinstimmend, daß Zhuan Xu drei Söhne gehabt habe, die bald nach der Geburt starben und guĭ (Gespenster, Geister) wurden. Einer habe sein Quartier im Chang Jiang („Yangtse“) bezogen und sei zum Malaria-Geist geworden. Der zweite sei in den Ruo Shui (heutiger Fluß Yalong Jiang in Sichuan) gestiegen und ein wăngliăng-Dämon geworden, der als dreijähriges kleines Kind erscheine, mit roten Augen, langen Ohren, einem rot durchscheinenden schwarzen Körper und rabenschwarzen Haaren, das die Menschen anlocke, indem es ihre Stimmen nachahme. Der dritte schließlich verstecke sich in Zimmerecken und Türangeln, verbreite Seuchen und erschrecke Kinder. Cai Yong nennt Zhuan Xu wegen dieser drei Söhne sogar yìshéndì (Seuchengott-Kaiser). Ebenfalls bei Cai Yong wird uns auch der erste „Seuchenaustreiber“ vorgestellt, ein „Herr Fangxiang“, der mit Hilfe eines Nuó-Ritus diese drei vertreiben kann. Heute kennen wir Fangxiang noch als kāilù shén, der bei der Bestattung den Toten den Weg ins Jenseits frei macht und Gespenster fern hält, sowie als Rolle in Nuó-Theaterstücken Südchinas. Damals trug er eine große Maske mit vier leuchtenden Augen aus Goldfolie und ein Bärenfell auf dem Rücken, war in ein schwarzes Gewand und einen roten Rock gekleidet und hielt in der rechten Hand eine Hellebarde, in der linken einen Schild. Diese Angaben werden in den wesentlichen Punkten noch einmal von Gan Bao in seinem ca. 340 u.Z. erschienen Werk Sōushén Jì (Berichte über Geister) bestätigt.

Eben in diesem Buch wird nun erstmals auch ein Seuchengott mit Namen genannt, allerdings keiner der drei Söhne Zhuan Xus, sondern ein gewisser Zhao Gongming. Erzählt wird die Geschichte eines Wang You, der im Sterben liegt, aber seine alte Mutter nicht allein zurücklassen möchte. Seine Geschwister sind schon alle tot und Kinder hat er nicht. Im Traum erscheint ihm eine Gestalt, die sich als Hilfsgeist des Zhao Gongming ausgibt. Wang erklärt ihm seine Situation, erregt sein Mitleid und veranlaßt ihn, ihn zu heilen. Später liest er in einem yāoshū („Dämonenbuch“) nach, daß der Himmelsgott Zhao Gongming und andere beauftragt habe, die Geister zu kontrollieren, die ins Diesseits gehen, um den Menschen das Leben zu nehmen. Während der Liang-Dynastie (502-557) erwähnt dann der daoistische Mönch Tao Hongjing in seinem Werk Zhēngào (Edikte der Wahrheit) Zhao Gongming als Anführer der fünf Gottheiten der Himmelsrichtungen in der Totenwelt. Diese fünf bilden nun offenbar die Grundlage für die späteren wŭ wēnshén „Fünf Seuchengötter“, die auch wŭwēn shĭzhĕ. „Fünf Seuchenboten“ genannt werden. Insbesondere im Süden sind sie auch unter anderen Bezeichnungen wie wŭdì „Fünf Kaiser“, wŭshèng „Fünf Heilige“,[6] wŭfú dàdì „Fünf Große Glückskaiser“, wŭwēn wángyé „Fünf Seuchenkönige“ bekannt.

Zhao Gongmings Karriere sollte über tausend Jahre nach seiner ersten schriftlichen Erwähnung einen deutlichen Sprung machen. Heute kennen wir ihn als cáishén „Gott des Reichtums“, genaugenommen allerdings nur als eine der Reichtumsgottheiten – aber das wäre eine andere Geschichte. Über ihn lesen wir: „Dennoch ist der Ursprung Tsai Shêns nebelhaft und unklar, und seine Persönlichkeit zweifelhaft und dunkel. Manche identifizieren ihn mit dem Geist des Nordens (...). Andere halten ihn für einen der fünf Brüder, die die regionalen Götter des Reichtums sind. Aber die volkstümlichste Legende leitet seinen Ursprung von einem vergöttlichten Einsiedler auf dem Berge Omei ab, dessen Name Chao Kungming war, zu Lebzeiten eine Person ‚von grenzenloser List und Schlauheit‘. Er konnte auf einem schwarzen Tiger reiten; daher wird der Tiger so oft neben ihm dargestellt. Er konnte Perlen schleudern, die wie Bomben platzten.“[7]

Doch zurück zu den Seuchengöttern: Im ming-zeitlichen Sānjiào Sōushén Dàquán (Kompendium der Gottheiten der drei Religionen) lesen wir von einer Geschichte, die im Jahre 591, also während der Sui-Dynastie spielt. Dort heißt es, daß dem Kaihuang-Kaiser Wen Di fünf Gestalten „... in der Luft erschienen seien. Sie trugen Kleider in den fünf Farben und hielten die Embleme Löffel und Tongefäß, Lederbeutel und Schwert, Fächer, Keule und Feuertopf. Der Kaiser befragte seinen Hofgeschichtsschreiber und dieser teilte ihm mit, daß es sich dabei um die Geister der fünf Himmelsrichtungen handle, deren Erscheinen das Kommen von Epidemien ankündigte, die das ganze Jahr hindurch anhalten würden. Tatsächlich brachen in diesem Jahre Seuchen aus, und viele Menschen gingen zugrunde. Der Kaiser erbaute den fünf Geistern daraufhin einen Tempel und ernannte sie zu Seuchengöttern.“[8] Die Antwort des weisen Hofgeschichtsschreibers enthält auch die Namen der fünf: Zuständig für die Frühlingsseuchen ist Zhang Yuanbo, für die Sommerseuchen Liu Yuanda, für die Herbstseuchen der uns bereits bekannte Zhao Gongming, für die Winterseuchen Zhong Shigui (der als Zhong Shiji ein Minister des Staates Wei zur Zeit der Drei Reiche war) und als „Manager“ für die ganze Gruppe Shi Wenye. Zum Abschluß, nachdem der Kaiser ihnen den Tempel erbaut hat, heißt es, daß ihnen fortan am 5. Tag des 5. Monats geopfert werde. Nun ist das der Tag des Drachenbootfestes und in der Tat weisen Bredon und Mitrophanow darauf hin, daß mit den Lampions und kleinen Booten, die mit Kerzen erleuchtet am Abend dieses Tages auf dem Wasser forttreiben, auch die Seuchen ausgetrieben werden. An gleicher Stelle heißt es: „Schon seit dem Jahr 500 v. Chr. heißt der fünfte Monat der Böse oder Schlechte Monat, auch der Pest-Monat, und wird als der seuchengefährlichste Monat des Jahres betrachtet. Nicht ohne Grund. Im Freien ist es wie in einem Hochofen. Zuerst kommen trockene Winde und Dürre – Föhne, die an den Nerven zerren. Dann liegt dampfende Hitze über dem Land wie eine heiße, klebrige Decke. Pestdünste entsteigen der Erde. Seuchen lauern in den Gestänken, die sich in den unkanalisierten chinesischen Städten erheben, und die Fünf Giftigen Tiere wachen auf: die Schlange, der Skorpion, die Eidechse, die Kröte und der Tausendfüßler.“[9] In diesem Jahr (2003) beginnt der fünfte Monat am 31. Mai und endet am 29. Juni. Wir können also selbst beobachten, ob diese düstere Prognose zutrifft, oder ob – gerade im Gegenteil – das Ende der SARS-Epidemie kommt.

Bei den Fünf Seuchengöttern ist es jedoch nicht geblieben. So erwähnt Wang Shizhen (1526-1590) in seinem Lièxiān Quánzhuàn (Sämtliche Biographien von Unsterblichen) deren acht. Jeder verfüge über ein Heer von Milliarden Geister-Soldaten, die sich überall unter den Menschen herumtreiben. Heute haben wir dabei unwillkürlich die Assoziation von Viren und Bakterien. Liu Yuanda sei für verschiedene Krankheiten verantwortlich, Zhang Yuanbo für Seuchen im Allgemeinen, Zhao Gongming für Ruhr, Zhong Shiji für Geschwüre, Shi Wenye für „kalte Ruhr“, Fan Juqing für „schmerzhafte Abmagerung“, Yao Gongbo für die fünf Gifttiere und Li Gongzhong für „rotäugige Dämonomanie“.

Noch bekannter sind die Seuchengötter eines großen Romans, der gewöhnlich Xi Zhonglin zugeschrieben wird, wahrscheinlich aber von Lu Xixing (1520-1601) verfaßt wurde: Fēngshén yănyì (Investitur der Götter). In den Kapiteln 58, 59, 80 und 81 werden ausführlich die Kämpfe Jiang Ziyas mit Daoisten, Zauberern und „Hexen“ geschildert, die dann in Kapitel 99 zu Seuchen- und Pockengöttern erhoben werden.[10] Lü Yue bekommt hier den Titel eines Himmelskönigs und Anführers weiterer sechs Seuchengötter: Zhou Xin (Seuchengott des Ostens), Li Qi (Seuchengott des Südens), Zhu Tianlin (Seuchengott des Westens), Yang Wenhui (Seuchengott des Nordens), Chen Geng (Großer Lehrer der Güte) und Li Ping (Gott der Befriedung der Seuchen). Wenig später wird Yu Hualong zum Gott der Pocken, seine Frau zur Beschützerin der Krankenzimmer und ihre fünf Söhne zu den Pockengöttern der fünf Himmelsrichtungen erhoben.

Interessant ist, daß der offizielle Titel, der Yu Hualong verliehen wird bìxiá yuánjūn lautet. Das ist auch die Bezeichnung der Tochter des dongyuè shén (Heiliger Berg des Ostens), die als Hauptgöttin des Tai Shan gelten kann. In der Tat ist sie als Tàishān Niángniáng die Anführerin von neun niángniáng-Göttinnen, unter denen sich auch die für Pocken und Masern zuständigen befinden und deren Eigenschaften und Fähigkeiten sie in sich vereint. Die Mythologie der wŭyuè, also der Fünf Heiligen Berge, ist überaus kompliziert und widersprüchlich. Es würde zu weit führen, hier darauf näher einzugehen. Ein bemerkenswertes Detail sei jedoch genannt: Die Überlieferungen hinsichtlich der Fünf Urkaiser (wŭdì) und der Fünf Heiligen Berge sind miteinander verwoben, da Zhuan Xu, der Vater der ersten drei Seuchengötter, als „Schwarzer Kaiser“ des Heiligen Berges des Nordens (Heng Shan) angesehen wird. Damit schließt sich der Kreis und wir müssen uns nicht mehr wundern, wenn wir lesen: „Es scheint ferner ein gewisser Zusammenhang zwischen den Fünf Herrschern [gemeint sind die fünf Urkaiser; Anm. I.N.] und Epidemien zu bestehen. Im Sommer, wenn die Hitze wie eine schwere Hand auf den Städten des Südens liegt, wo die Menschen zu dichtgedrängt leben und nicht hoffen dürfen, in die Berge oder an den Strand zu ziehen, werden die Regenbogenkaiser, wenn wir sie so nennen können, aus ihren Tempeln geholt und durch die Straßen getragen, damit sie Seuchen und insbesondere die gefürchtete Cholera abwehren. Solche Götterprozessionen sind außerordentlich malerisch. Jeder Gott hat seine eigene Sänfte mit freiwilligen Trägern. Er zieht durch einen Wald hellroter Banner, deren grimmig mutige, strahlende Färbung ihm ein überraschend kühnes Aussehen verleiht. Hinter ihm und vor ihm gehen Männer mit Gongs, deren Rufe Glockenschlägen ähneln, die verstimmt sind und rauh. Papierbilder des Großen Weißen Teufels und des Kurzen Schwarzen Teufels, die wir schon als Diener der Ch’eng Huangs oder Stadtgötter erwähnt haben (...), werden im Zuge mitgetragen. Papierene Nachahmungen aufgetakelter Dschunken, die sogenannten ‚Seuchendschunken‘, werden auf den Schultern getragen. Schließlich kommt am Ende des Zuges ein gutgekleideter Mann mit zwei Eimern, die Schweineblut, Büffelhaare und Hühnerfedern enthalten, Symbole des Schmutzes, der die Seuche verschuldet. Einstmals verrichteten Bettler diesen Dienst für die Allgemeinheit, aber wir haben selbst einen Freiwilligen aus einer geachteten Familie gesehen, der aus Dankbarkeit für die Genesung eines nahen Verwandten mit langsamen, würdigen Schritten seine dreckige Last trug.

Die bunte Prozession schlängelt sich durch die Stadt und wer einen Geldbeitrag geleistet hat, hat das Recht, zu verlangen, daß die Götter an seinem Hause vorbeikommen, wenn es die Breite der Straße zuläßt. So erreicht der Zug mit vielem Hin und Her das Flußufer oder die Meeresküste. Hier werden unter der brennenden Sonne die Dschunken aufs Wasser gesetzt und tragen, wenn die Fünf Herrscher es zulassen, die der Stadt drohende Pest mit sich. Treibt das Boot gerade ins Meer hinaus, ist es gut. Treibt es wieder ans Land, so trägt es die Krankheit an die Stelle, an der es landet. Eine weniger egoistische Methode ist es, am Rand des Wassers die Boote zu verbrennen, während die Götter aus ihren Sänften zusehen und die beiden Teufel gezwungen werden niederzuknien, als ob sie sich dem Gebete des angsterfüllten Volkes anschlössen.“[11] 

Hiermit möchte ich diese kleine Einführung in die Seuchengötter Chinas abschließen. Leider mußte ich stark vereinfachen, die Mehrzahl der verschiedenen schriftlichen und mündlichen Überlieferungen weglassen und konnte die Verzweigungen nicht weiter verfolgen. Trotzdem hoffe ich, daß es mir gelungen ist, in dem wirren Knäuel widersprüchlicher Versionen dieser Mythologie wenigstens einem Faden so zu folgen, daß Interesse an der chinesischen Volksreligion geweckt wurde. Möge der Kampf gegen SARS recht bald dazu führen, daß es – wenigstens für einige Zeit – wieder heißt: „Lebwohl Seuchengott“.

Dr. Ingo Nentwig, Museum für Völkerkunde zu Leipzig.


Ingo Nentwig ist Kustos Ostasien am Museum für Völkerkunde zu Leipzig und gleichzeitig Lehrbeauftragter an der hiesigen Universität. Er ist ferner Dozent an der Volkshochschule Leipzig und freiberuflicher Dolmetscher und Übersetzer für Chinesisch. Ingo Nentwig hat u.a. in Berlin, Münster und Shenyang studiert ( Ethnologie, Manjurisch, Mongolisch, Philosophie, Sinologie und Volksliteratur). Er hat promoviert, mit einer Dissertation über "Schamanen zwischen Zeremonie und Erzählung". Materialien zu Glaubensvorstellungen in den mündlichen Überlieferungen der Daur, Ewenken, Oroqen und Hezhen"(1994) . In den Jahren 1991 und 1993 war Ingo Nentwig Gastwissenschaftler an der Liaoning-Universität in Shenyang (Volksrepublik China). Er ist Verfasser zahlreicher wissenschaftlichen Beiträge in den Fachzeitschriften. Als Autor von ASIATISCHEN GKLAUBENSWELT hat er einen Artikel über den Schamanismus in China verfasst.
 

 

Verwendete Literatur:

 

Bredon, Juliet u. Mitrophanow, Igor: Das Mondjahr. Chinesische Sitten, Bräuche und Feste. Wien 1937/1953.

Cai, Qingfu u. Huang, Huiying: Mao Zedong shici daguan (Die Pracht der Gedichte Mao Zedongs). Chengdu 1992.

Creation of the Gods [Fengshen Yanyi]. Vol. I, II. Translated by Gu Zhizhong. Beijing 1992.

Gong, Bin: Guishen qijing – Zhongguo chuantong wenhua zhong de guishen shijie (Wundersames Reich der Geister und Götter – die Welt der Geister und Götter in der traditionellen Kultur Chinas). Shenyang 1990.

Hirth, Friedrich: The Ancient History of China. To the End of the Chou Dynasty. New York 1908 / Taipei 1974.

Li, Lulu: Mazu xinyang (Der Glaube an die Mazu). Beijing 1994/1996.

Lu, Xun: Kurze Geschichte der chinesischen Romandichtung. Beijing 1981 [chinesisches Original Zhongguo xiaoshuo shilüe: 1930].

Lü, Jixiang: Taishan niangniang xinyang (Der Glaube an die Taishan-Niangniang). Beijing 1994/1996.

Ma, Shutian: Zhongguo mingjie zhushen (Die verschiedenen chinesischen Gottheiten des Schattenreichs). Beijing 1998.

Prunner, Gernot: Papiergötter aus China. Hamburg 1973 / Hannover 1987.

Song, Zhaolin: Zhongguo minjian shenxiang (Abbildungen der Volksgottheiten Chinas). Beijing 1994/1996.

Sun, Xiaoqin u. Wang, Hongqi: Tian di ren gui shen tujian (Illustriertes Handbuch von Himmel und Erde, Menschen, Geistern und Göttern). Beijing 1997.

Wang, Jinglin u. Xu, Tao [Hg.]: Zhongguo minjian xinyang fengsu cidian (Lexikon der Sitten und Bräuche des chinesischen Volksglaubens). Beijing 1992.

Yuan, Ke: Zhongguo gudai shenhua, xiuding ben (Die alten Mythen Chinas, überarbeitete Ausgabe). Beijing 1960/1985.

-, Zhongguo shenhua chuanshuo cidian (Lexikon der Mythen und Sagen Chinas). Shanghai 1985.

Zong, Li u. Liu, Qun: Zhongguo minjian zhushen (Die verschiedenen Volksgottheiten Chinas). Shijiazhuang 1987.

 

Texte zu den Abbildungen:

 

A:

Die fünf Seuchengötter (wēnshén). Abbildung aus dem Sānjiào sōushén dàquán (Kompendium der Gottheiten der drei Religionen) der Ming-Dynastie. Hier reproduziert aus: Song, 1994/1996, S. 197.

 

B:

Im Regierungsbezirk Lijiang der Provinz Yunnan opfern die Menschen einer ungewöhnlichen Form des Seuchengotts, dem Wēnsīhaĭhuìwáng Shén, der Mensch und Vieh vor ansteckenden Krankheiten bewahren kann. Seine bildliche Darstellung zeigt die fünf Seuchengötter, die in einem Drachenboot, begleitet von zwei weiteren anthropomorphen Gottheiten, deren Identität ungeklärt ist, auf das „Meer“ (es können auch Seen oder Flüsse gemeint sein) hinaus gefahren werden. Dies verweist auf den Brauch, auch zum Drachenbootfest, am 5. Tag des 5. Monats, die Seuchengötter zu verabschieden, d.h. in Papierbooten mit Kerzen forttreiben zu lassen. Abbildung aus: Sun u. Wang, 1997, S. 413.

 

C:

Der mythische Urkaiser Zhuan Xu. Abbildung aus: Song, 1994/1996, S. 152.

 

D:

Der Herr Fangxiang als Seuchenvertreiber (links) und als Gottheit, die bei der Bestattung dem Toten den Weg frei macht (rechts). Abbildungen aus: Song, 1994/1996, S. 210.

 

E:

Die fünf Seuchengötter (wŭ wēn zhī shén). Abbildung aus: Ma, 1998, S. 237.

 

F:

Zhao Gongming, der spätere Gott des Reichtums (cáishén) in einer qing-zeitlichen Darstellung als Seuchengott. Abbildung aus: Ma, 1998, S. 242.

 

G:

Die Pockengöttin (dòushén). Abbildung aus: Song, 1994/1996, S. 171.

 

H:

V.r.n.l.: Die Gottheiten der Pockenpusteln (bānshén) und der Hautausschläge (zhĕnshén). Abbildung aus: Song, 1994/1996, S. 172.

[Achtung Hinweis: Die chinesische Bildunterschrift und die beiden chinesischen Schriftzeichen jeweils rechts oben neben den Köpfen der beiden sollten weggeschnitten bzw. wegretuschiert werden, da sie z.T. falsch sind!!!!!]

 

I:

Die Gottheit der Pockennarben (máshén). Abbildung aus: Song, 1994/1996, S. 173.

 

J:

Der durch kaiserlichen Erlaß zum über die Masern herrschende Gott ernannte Goldknabe (chìfēng jīntóng zhŭshā zhī shén). Abbildung aus: Song, 1994/1996, S. 173.


 

[1] Dr. Ingo Nentwig ist Kustos Ostasien am Museum für Völkerkunde zu Leipzig.

[2] Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung. In: MEW 1, S. 378. Berlin 1981/1988.

[3] Lu, Xun, 1930/1981, S. 19-20.

[4] In manchen Überlieferungen wird Shao Hao als zweiter Urkaiser genannt. Da er nach verschiedenen Überlieferungen aber nicht aus dem Geschlecht des Gelben Kaisers gestammt haben soll, gilt er vielen als illegitim. In anderen Quellen heißt es hingegen er sei der älteste Sohn Huang Dis gewesen. Auf Zhuan Xu folgten noch Di Ku, Yao und Shun, bevor dann der legendäre Große Yu die Xia-Dynastie gegründet haben soll.

[5] Nach anderer „Rechnung“ 2510 bis 2433 v.u.Z.; natürlich handelt es sich um zugeschriebene Zahlen, die – wie die Urkaiser selbst – zur Mythologie, nicht zur Geschichtsschreibung zu rechnen sind.

[6] Dazu heißt es: „Am sonderbarsten von allen Bauerngöttern sind die Wu Shêng oder ‚Fünf Seher‘, deren Verehrung Seuchen in den bäuerlichen Geflügelhöfen und Schweineställen abwehren soll. Manchmal werden sie mit den Geistern von Füchsen, Dachsen, Wieseln, Igeln etc. identifiziert. Obwohl die Wu Shêng unter den Mings verehrt wurden, untersagte die Mandschu-Dynastie den Kult und reihte die Wu Shêng unter die ‚Verderbten Götter‘.“ (Bredon u. Mitrophanow, 1937/1953, S. 183).

[7] Bredon u. Mitrophanow, 1937/1953, S. 124.

[8] Prunner, 1973/1987, S. 70.

[9] Bredon u. Mitrophanow, 1937/1953, S. 320.

[10] Vgl. Creation ..., 1992.

[11] Bredon u. Mitrophanow, 1937/1953, S. 478-479.

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