Äußere Einheitlichkeit und innere Vielfalt im Islam

Holger Preißler (Leipzig)

Vor allem die Ereignisse seit dem September 2001, aber auch die gewachsene Präsenz und Artikulation von Muslimen außerhalb des historischen Verbreitungsgebiets des Islam in Asien und Afrika sowie in Südosteuropa haben das Interesse am Islam deutlich wachsen lassen. Bücher über den Islam sind zu Bestsellern geworden, in den Programmen von Fernsehen und Rundfunk ist der Islam ein beliebtes Thema. Obwohl das Bedürfnis nach Information groß ist, bleiben die Kenntnisse im allgemeinen doch gering.[1] Das Bedürfnis, schnell, knapp, möglichst plastisch und eindringlich, eine äußerst komplexe Größe wie den Islam als Religion und die von ihm mitgeprägten Kulturen darzustellen, führt notgedrungen zu Vereinfachungen und Pauschalisierungen. Die Hervorhebung eines islamisch motivierten Terrorismus[2] nach dem 11. 9. 2001 und die Suche nach diesen bestimmenden Erscheinungen bedingt häufig auch     eine Vereinseitigung, die noch durch mediengemäße Suche nach Spektakulärem verstärkt wird. Differenzierende Versuche gehen angesichts dieser beträchtlichen Pressionen leicht unter und es werden Aspekte wiederbelebt, die zu den Merkmalen des Orientalismus zählen, wie ihn der palästinensisch-amerikanische Kritiker Edward W. Said so treffend dargestellt hat.[3] Das Bild vom Islam wird essentialistisch, ahistorisch und undynamisch. Es führt fast folgerichtig zur Deindividualisierung und selbst zur Enthumanisierung und wird Teil eines Gegen- und sogar Feindbildes, das eine verbreitete Islamophobie nährt.[4] Dieser Hintergrund wirkt unterschiedlich stark, offen oder versteckt, fördert Ängste und Unsicherheit. Er hat auch Auswirkungen auf Muslime selbst, die die oft primitiven und billigen Feindbilder ihrer Apologeten vom „Westen“ und seiner generellen Islamfeindlichkeit dadurch bestätigt sehen.

Sachliche, ausgewogene, historische und individualisierende Informationen können diese Phänomene in der europäischen und amerikanischen Öffentlichkeit zwar eindämmen, aber nicht beseitigen. Sie finden sich in der vielfältigen Fachliteratur, müssen jedoch für eine breitere Öffentlichkeit aufbereitet werden, während gleichzeitig der selbstkritische Zugang zur Auswahl und zu den Themen, die von Spezialisten bearbeitet werden, innerhalb der verschiedenen Fächer, die sich mit dem Islam befassen, vertieft werden muss. Die erwähnten Ereignisse haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass besonders politische und auch soziale Seiten des Islam betont worden sind, während kulturelle und vor allem religiöse Dimensionen eher zurückgedrängt oder sogar ignoriert worden sind. Für Studien werden häufig Themen gewählt, die sichtbaren Erfolg und vor allem Verständnis bei Auftraggebern versprechen, während Erscheinungen des Mainstreams oder auch solche, die große Gruppen oder auch die Massenkultur von Muslimen betreffen, zurücktreten, ja sogar weitgehend unbekannt bleiben.  

Muslime – weltweit über 1,3 Milliarden Menschen – leben heute in fast allen Ländern der Erde mit ihren unterschiedlichen Kulturen, zumeist jedoch in Asien und Afrika, aber auch in wachsenden Gemeinschaften in Europa und Amerika. Sie werden in ihre Religionsgemeinschaft hineingeboren und bleiben ihr verhaftet, wenn sie sich nicht ausdrücklich davon trennen oder sich einer anderen Religionsgemeinschaft anschließen. Muslime partizipieren allesamt, aber entsprechend ihren konkreten Lebensbedingungen, an weltweiten Prozessen der Modernisierung und Globalisierung. Historisch haben die „Kernländer“ der islamischen Geschichte in Westasien für sie eine besondere Attraktivität, z.B. durch die Pilgerfahrt nach Mekka in Saudi-Arabien, religiöse Zentren der Bildung wie der Kommunikation. Muslime werden von den dortigen religiösen, aber auch politischen und kulturellen Vorgängen in besonderer Weise beeinflusst.

Muslime besitzen unterschiedliche Einstellungen zum Islam entsprechend ihrer religiösen Herkunft und Sozialisierung, ihrem Geschlecht und Alter, ihrer Bildung und ihrer Tätigkeit, nicht zuletzt auch ihren individuellen Bedürfnissen. Ihr Wissen von ihrer Religion darf im allgemeinen nicht zu hoch eingeschätzt werden, wie beständige Kritiken islamischer Gelehrter zeigen. Nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, auf Grund tiefgehender Krisenerscheinungen in den eigenen Gesellschaften und nicht zuletzt als Reaktion auf den nivellierenden Einfluss der Globalisierung scheint im islamischen Umfeld gerade bei Schülern, Studenten und jungen Absolventen akademischer Berufe, Frauen wie Männern, das Interesse an religiösen Fragen gestiegen zu sein, auch wenn es oft diffus und laienhaft bleibt und nicht unbedingt zu einer engen Bindung an bestimmte Moscheegemeinden oder islamische Vereine führen muss. In diesem Rahmen wenden sie sich auch stärker den Kulturen und ihrer Geschichte, die eben auch und in besonderem Maße vom Islam geprägt sind, zu. Stärker religiös motivierte Muslime erscheinen mehrheitlich konservativ und traditionsgebunden. Muslime hängen auch verschiedenen lokalen, volksreligiösen Auffassungen und Praktiken an. Viele von ihnen sind jedoch einfach indifferent gegenüber religiösen Fragen oder auch kritisch gegenüber ihrer Religion bzw. bestimmten Erscheinungen in ihr. Soziologische Untersuchungen zu solchen unterschiedlichen Haltungen sind zwar vorhanden, erfassen jedoch meist nur relativ kleine Regionen und Bereiche und können schwerlich verallgemeinert werden. Namentlich in den islamischen „Kerngebieten“ fehlen sie weitgehend. So bleiben oft nur persönliche Beobachtungen und Vermutungen, um das aktuelle Bild vom Islam zu erfassen.[5] 

Wie kann man islamische Positionen stärker unterscheiden?

Im Christentum sucht man Kirchen oder Denominationen und sieht bestimmte distinktive Gemeinschaften, die aber im Inneren auch starke Unterschiede aufweisen können. Im Islam gibt es bekanntlich keine Kirchen, auch wenn die Staaten mit islamischer Bevölkerungsmehrheit staatsabhängige hierarchisierte und zentralisierte Formen der Religionskontrolle und religiösen Bildung und Weisung geschaffen haben, z.B.  religiöse Ministerien und Ämter von offiziellen Muftis. Die Religionspolitik der meisten Staaten mit islamischer Bevölkerungsmehrheit richtet sich überwiegend an der vorwiegend konservativen Hauptströmung unter den Muslimen aus. Nach politischen Bedürfnissen können allerdings, meist kurzfristig, auch radikale Tendenzen einerseits oder stärker modernisierende und liberale Haltungen andererseits gefördert werden. Politiker oder politische Institutionen in diesen Ländern wissen im allg. um die hohe Sensitivität religiöser Äußerungen und Positionen, sind jedoch in der Vergangenheit immer wieder in die Rolle von „Zauberlehrlingen“ geraten, wie es die ägyptische oder pakistanische Politik von den siebziger bis neunziger Jahren mehrfach manifestiert  hat.

Muslime kennen verschieden Formen der Institutionalisierung, doch oft erscheinen sie wenig strukturiert, nach außen zudem schwer fassbar. Es sind z.B. Moscheegemeinden, Bruderschaften sowie Vereine und Parteien entsprechend dem jeweils geltenden Vereinsrecht. Netzwerke spielen eine bestimmte Rolle.[6] Überhaupt wirken starke persönliche Beziehungen, wie wir sie auch aus anderen Religionen kennen.

Ebenso wenig wie Kirchen kennt der Islam Geistliche oder Priester. Religiöse Spezialisten im Islam sind Gelehrte, die auf Grund ihres meist traditionellen Studiums die Grundtexte der Religion kennen und die Methoden ihrer Interpretation und Darstellung beherrschen. Sie sind die berufenen, geachteten Träger jahrhundertealter, auch widersprüchlicher Traditionen. Sie verstehen die traditionellen Artikulationsformen wie die Predigt oder auch die Formulierung von Fatwas, von autoritativen, aber nicht a priori bindenden Äußerungen zu islamrelevanten Fragen auf Grund realer oder fiktiver Anfragen. Ihr Wort hat weiterhin Gewicht, auch wenn sie kein Deutungsmonopol für sich beanspruchen können. Denn jeder Muslim kann sich zu seiner Religion äußern, soll aber dazu über das entsprechende Wissen verfügen. Aus dieser Situation ergibt sich einerseits Flexibilität im Auftreten, andererseits aber auch Laienhaftigkeit mit Neigungen zur Vereinfachung und zur starken Individualisierung, ohne dass das religiöse Erbe in seiner Vielfalt Beachtung findet. In den letzten Jahrzehnten haben oft „Erweckte“ Einfluss erhalten, die sich nicht aus einer langen religiösen Tradition heraus, sondern durch ein persönliches Erlebnis zu religiösen Äußerungen berufen fühlen, auch wenn ihr religiöses Wissen nicht unbedingt solide und breit sein muss. Ihr Islam besitzt oft ein hausgemachtes, sehr persönliches Aussehen und berücksichtigt gewachsene Positionen kaum oder gar nicht, kann aber gleichwohl wie z.B. bei dem jungen ägyptischen Prediger Amr Khâlid ein begeistertes Auditorium finden. In extremistischen und radikalen Gruppen haben einzelne, religiös oft nicht besonders gebildete Personen einen besonderen Rang gewinnen können. Usama Ben Laden ist nur ein Beispiel dafür.

Im Rahmen der Regionalisierung und Pluralisierung lassen sich generelle Strömungen feststellen, die zuerst und vor allem binnenstaatlich sind, aber gleichzeitig transnationale Einflüsse besitzen.  Sie können in ihrer historischen Bindung auch dynamische Veränderungen erleben, wie z.B. im Iran Ende der siebziger Jahre oder in der Türkei zum Jahrtausendwechsel. In den letzten Jahrzehnten sind mit der weiteren Verbreitung und Anpassung des Islams und der Modernisierung der Kommunikationsmittel die Tendenzen zum innerislamischen Austausch und weltweiten Verbreitung bestimmter Positionen sprunghaft angestiegen. Ohne Internet ist der Islam heute kaum mehr zu begreifen und zu erfassen.

Nach außen erscheint der Islam monolithisch, bildet die weltweite Gemeinschaft der Muslime, die Umma, eine beeindruckende Einheit. Doch das ist ein Ideal, keine Realität. Die islamische Gemeinschaft ist nicht nur politisch, sondern auch religiös zutiefst zersplittert und fragmentiert. Ihre Fähigkeit zum gemeinsamen Auftreten und gar Handeln ist nicht so groß, wie es oft von außen erscheinen mag und von außen wie von islamischen Kräften dargestellt wird. Das beklagen auch namhafte muslimische Persönlichkeiten und bekannte Organisationen, die den innerislamischen Pluralismus, auch als historisches Erbe, anerkennen. Zentrale Institutionen, die mit ihrer Autorität auf islamische Mehrheiten wirken, fehlen traditionell. Internationale Gremien wie die 1968 gegründete Muslimische Weltliga können bestimmte Aufgaben für die islamische Weltgemeinschaft übernehmen, allerdings ohne dass sie de facto über die nötige Autorität zur Durchsetzung ihrer Auffassungen verfügen. 

Die Muslime sind einerseits durch die traditionelle Aufteilung in die absolute, weltweite verbreitete sunnitische Mehrheit und die regional begrenzt verbreiteten schiitischen Minderheiten wie Imamiten, Ismailiten und Zaiditen sowie noch kleinere ibaditische Minoritäten in Oman und Algerien aufgeteilt. Vor allem seit dem II. Weltkrieg sind starke Kräfte für die gegenseitige Anerkennung und den Dialog zwischen diesen Denominationen aktiv, kommt es jedoch auch immer wieder zum Aufleben überkommenen Misstrauens. Auch wenn Schiiten durch ihre Geschichte Besonderheiten nicht nur in religiösen Auffassungen und Handlungen, sondern auch im Umgang mit dem religiösen Erbe und in der Institutionalisierung aufweisen, lassen sich bestimmte Tendenzen im Umgang mit modernen Prozessen bei allen ähnlich feststellen. Und so wie auch Positionen aus dem sunnitischen Bereich auf die schiitische Mobilisierung Ende der 70er Jahre im Iran und Libanon Einfluss besaßen, wirkten die Ereignisse der iranischen Revolution von 1979 auf den gesamten Islam zurück.

Zwischen islamischen Tendenzen und Gruppierungen sind Rivalitäten und Polemiken an der Tagesordnung. Dagegen treten die von außen besonders beachteten Äußerungen zu Nichtmuslimen, Andersgläubigen, religiös Indifferenten und Säkularisierten für sie häufig in den Hintergrund.  Auseinandersetzungen werden vor allem an der Interpretation des Korans, der Einstellung zum Prophetentum und der Endgültigkeit der prophetischen Sendung Muhammads und der Auffassung von der Authentizität und normativen Gültigkeit des Hadith als zweiter autoritativer Quelle des Islam ausgetragen.

Alle islamischen Gruppierungen und Strömungen beziehen sich eindeutig auf die Grundtexte des Korans und der Sunna und interpretieren sie entsprechend ihren Bedürfnissen. Sie ringen um den Einfluss ihrer jeweiligen Deutung der Welt unter Bezug auf die autoritativen islamischen Quellen. Dabei können auch jene besonderen Einfluss gewinnen, die einfache und doch gleichzeitig umfassende Lösungen anbieten und damit Hoffnungen auf schnelle Veränderungen zum Guten im Leben der Muslime erwecken. Typisch religiöse Aspekte der Transzendenz  werden in diesem Zusammenhang zurückgedrängt, bleiben aber doch erhalten. Vor allem seit der Wende vom 14. zum 15. islamischen Jahrhundert im Jahre 1979 haben auch endzeitliche Stimmungen und Hoffnungen, wie sie unter Muslimen immer präsent gewesen sind, einen allerdings schwer messbaren Aufschwung erfahren, der sich nicht nur in der Beachtung entsprechender traditioneller und neuer Publikationen widerspiegelt.

Islamische Strömungen umfassen sowohl moderate wie strenge, aber auch radikale und extremistische Varianten. Ihre Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Verhältnisse entsprechend ihren spezifischen Traditionen ist nicht zu unterschätzen. Mehrheitlich richten sie sich nicht generell gegen moderne Entwicklungen. Die Taliban in Afghanistan als von außen gesteuerte, künstlich geschaffene Erscheinung im Gefolge kriegerischer Auseinandersetzungen bildeten in dieser Hinsicht eine seltene Ausnahme.[7] Islamische Strömungen äußern allerdings gegenüber Globalisierungserscheinungen meist bestimmte Vorbehalte  und betonen symbolhaltige islamische Besonderheiten in der Lebensweise, wozu im Alltag besonders Nahrungsgebräuche oder Kleidungssitten oder auch die freitäglichen Gebetsgottesdienste gehören, durch die Unterschiede zwischen Muslimen und Nichtmuslimen hervorgehoben werden sollen.

Da die meisten Muslime in Ländern Asiens und Afrikas leben, ihre Familien von dort stammen und sie meist auch weiterhin mit ihren Herkunftsländern und –kulturen verbunden sind, gehört neben ihrem jeweiligen religiösen und kulturellen Erbe auch das historische Erbe eben dieser Regionen zu ihrem Gedächtnis. Dieses ist weitgehend von kolonialer Herrschaft, von antikolonialem Kampf und dann auch von der Festigung neuer Staaten mittels des Nationalismus und Patriotismus bestimmt. Der heutige Islam ist häufig als feste Kombination von religiösen und nationalen Elementen zu begreifen. Der französische Politologe O. Roy spricht geradezu von einem „Islamo-Nationalismus“.[8] Damit gewinnt der eigentlich säkulare Nationalismus, dessen Grundsätze aus europäischen Kulturen übernommen worden sind, nicht zuletzt angesichts tiefgehender Krisenerscheinungen eine gleichsam eschatologische Dimension. Gewohnte nationalistische Rhetorik wird mit ebenso gewohnter religiöser Rhetorik verbunden. Traditionelle Konnotationen bleiben dabei erhalten, werden aber gleichzeitig gewandelt, insbesondere säkularisiert und ideologisiert.[9]  

Folgende islamische Strömungen lassen sich, vor allem unter Sunniten, aufzählen. Sie sind im allg. nicht an eine bestimmte Institution oder Organisation gebunden. Sie sind in vielen Regionen und Ländern der Welt verbreitet und auch in Europa präsent, auch wenn sie überall regionale und lokale Eigenarten aufweisen.[10]

1. Vorwiegend  konservative und weitgehend quietistische  Strömungen mehr oder minder strenger Observanz sind bei der städtischen wie der ländlichen Bevölkerung  weit verbreitet. Sie werden von den traditionellen Spezialisten (`Ulamâ´, z.B. von der Azhar-Universität in Kairo oder bei den imamitischen Schiiten in Iran von den Hochschulen in Qomm) mit modernen technischen Medien und traditionellen Formen wie Fatwas unterstützt. Sie konzentrieren sich weitgehend auf die Einhaltung der islamischen Rituale und Moralvorstellungen. Sie sind in Moscheegemeinden oder Wohltätigkeitsvereinen organisiert. Hier zeigt sich gleichsam die unspektakuläre Normalgestalt des Islam.

2. Sufische („mystische“) Strömungen mit einer starken Beziehung zum schriftgemäßen religiösen Konservatismus, z.B. die Naqshbandiyya,[11] darunter vor allem die weltweit wirkende Haqqâniyya,[12] sind überall unter Muslimen präsent. Sie verdrängen auch Formen volkstümlicher, nicht schriftgebundener Religiosität bzw. saugen sie auf. Diese Tendenzen betonen islamische Moral und enge Gruppenbindung an die jeweilige Bruderschaft und ihren Meister. Sie sind überwiegend betont apolitisch. Sie können aber lokal sehr wohl Militanten Unterstützung leisten, wie es die Kurdenaufstände in der Türkei seit den zwanziger Jahren des 20. Jh. oder antisowjetische und antirussische Aktionen im Kaukasus, nicht zuletzt in Tschetschenien, gezeigt haben.

3. Traditionalistische aktionistische Haltungen vertritt die mitgliederstärkste transnationale islamische Organisation Jamâ’at-i Tablîgh,[13] die  um 1930 in Indien entstanden ist und sich vor allem der „Binnenmissionierung“ unter Jugendlichen in Südasien, Afrika und inzwischen auch Westeuropa mit ihrem Zentrum in Großbritannien widmet. Sie ist zwar tendenziell apolitisch, in den letzten Jahrzehnten jedoch auch politisch aufgetreten. In ihr scheinen sich gegenwärtig in Westeuropa integrationswillige mit desintegrativen Elementen auseinander zu setzen.

4. Die traditionalistische  salafitische[14] Strömung hat von Saudi-Arabien aus seit den achtziger Jahren mit dem wachsenden Hegemoniestreben saudischer Kreise um die Deutungsmacht im gesamten Islam weltweit an Einfluss gewonnen, scheint weiterhin anzuwachsen und erhält beträchtliche materielle Unterstützung von Einrichtungen und  Persönlichkeiten in Saudi-Arabien, ohne eindeutig hierarchisiert oder gar zentralisiert zu sein. Sie ist deutlich „binnenmissionierend“ und vertritt eine rigorose Schriftinterpretation, betont die strenge Einhaltung der islamischen Normen angesichts der Herausforderungen moderner Gesellschaften, deren technische Errungenschaften allerdings keineswegs pauschal abgelehnt werden, und grenzt sich von anderen organisierten Richtungen (Sufis, Islamisten) entschieden ab. Sie ist politisch reserviert und scheint in besonderer Weise auch  junge „erweckte“ Muslime, die nicht aus traditionellen religiösen Verhältnissen stammen, anzusprechen. Ihre geistigen, nicht organisatorischen Führer sind vor allem saudische Gelehrte wie z.B. der ehemalige saudische Großmufti Abdallâh Ben Bâz (1909-1999) oder der aus Albanien stammende Nâsir ad-Dîn al-Albâni (1914-1999), der zuletzt in Jordanien tätig war. Sie können sich mit traditioneller Rhetorik auch zu politischen Fragen äußern und wie alle anderen umfassend moderne Medien nutzen.[15]

5. Als Islamisten werden Vertreter eines breit gefächerten und wandelbaren Spektrums von religiösen und politischen Auffassungen bezeichnet.[16] Wichtige Grundlagen in geistiger wie organisatorischer Hinsicht erhielten sie durch die 1928 in Ägypten gegründete Vereinigung der Muslimbrüder. Sie entstanden als eine breite religiöse Reformbewegung, die ein umfassendes und detailliertes Programm für die islamische Modernisierung der ägyptischen Gesellschaft vertrat, sich politisch zuerst gegen die britische Herrschaft im Niltal wendete, seit Ende der vierziger Jahre aber verstärkt auch gegen Israel auftrat. Sie verband religiöses Gedankengut unterschiedlicher Herkunft mit politischen Überlegungen zum Aufbau einer Gesellschaft bzw. eines Staates nach islamischen Normen. In ihrer jahrzehntelangen wechselvollen Geschichte machte diese Vereinigung teilweise beträchtliche Verwandlungen durch, als Organisation wie in Person einzelner Vertreter. Diese Bruderschaft verbreitete sich vor allem in arabischen Ländern. Ihre Ideen gewannen in der gesamten islamischen Gemeinschaft an Einfluss, auch unter Schiiten. Manche ihrer Vorstellungen sind inzwischen zum Gemeingut des heutigen Islams geworden und selbst von ihren erklärten politischen Gegnern übernommen worden. Auch wenn die Muslimbrüder die Gemeinsamkeiten aller Muslime betonten, richteten sie doch ihre politische Arbeit auf die konkreten Bedingungen im jeweiligen Land aus. So lehnten sie zeitweilig in Ägypten Parteien ab, während sie sich in den fünfziger Jahren in Syrien am demokratischen Leben beteiligten. Fortschreitende innere Differenzierungen führten im allgemeinen zum Abtrennen kleinerer gewaltbereiter oder andersdenkender Gruppen gegenüber der eher ruhig agierenden Majorität. Vor allem in den letzten Jahren gelang es dieser Vereinigung in einigen Ländern wie in Ägypten, den Einfluss auf meinungsbildende Kräfte wie z.B. Rechtsanwälte oder Mediziner mit ihren Berufsorganisationen, aber auch religiöse Spezialisten zu erhöhen.

Islamisten sprechen einerseits sozial Unterprivilegierte, andererseits auch Vertreter von Eliten an, die durch das bestehende politische Establishment an der Machtbeteiligung gehindert werden. Beiden versprechen sie eine Verbesserung ihrer Situation mittels einfacher, „islamischer“ Lösungen. Dabei haben sie zahlreiche Erfahrungen von Vertretern nationalistischer und sozialer Ideologien übernommen und in ihre Vorstellungen integriert. Im Konkreten können sie durch eigenartige Mischungen von politischem Pragmatismus und popularistischer ideologischer Rhetorik, von Kooperationsbereitschaft und Monopolisierungsansprüchen, religiös-moralischen Aufrufen, praktischer Sachkompetenz und sozialem Engagement beträchtlichen Einfluss vor Ort gewinnen und damit auch das bestehende politische Establishment kritisieren oder gar in Frage stellen, wie sie es in den letzten Jahren z. B. in Ägypten, Jordanien oder der Türkei unter unterschiedlichen Bedingungen mehrfach geschehen ist. Organisationen und Personen mit islamistischen Hintergrund können entsprechend den politischen Bedingungen ganz unterschiedliche Entwicklungen nehmen. Die Mehrheit dieser so bezeichneten Islamisten neigt augenscheinlich zu konservativen und moderat-reformerischen Haltungen im Rahmen einer auch religiös motivierten Modernisierung. Diese Tendenz repräsentiert übrigens einer der bedeutendsten islamischen Meinungsführer der Gegenwart, der vom Golfstaat Qatar aus wirkende ägyptische Prediger und Gelehrte Yûsuf al-Qaradâwi (geb. 1926),[17] dessen Stellungnahmen weltweit und in verschiedenen Sprachen durch islamische Websites  verbreitet werden, aber auch von eher traditionalistischen und konservativen Kräften kritisiert oder abgelehnt werden.

Mehrheitlich werden islamistische Auffassungen durch national gebundene Gruppierungen vertreten, zwischen denen zwar zahlreiche Gemeinsamkeiten bestehen, die aber auf die Existenzbedingungen im jeweiligen Aktionsland ausgerichtet sind. Muslimbrüder sind in Ägypten in der Opposition, aber hörbar und aktiv, in Jordanien im Parlament, in Syrien verboten und verfolgt. Islamistische Organisationen sind die FIS (Islamische Heilsfront) in Algerien ebenso wie die schiitische Da`wa-Partei im Irak oder die schiitische Hizbullah im Libanon, die auch im libanesischen Parlament repräsentiert ist. Im Rahmen des strengen Laizismus der Türkei sind in den letzten Jahren verschiedene islamistische Parteien aktiv geworden, z.T. mit kraftvoller Unterstützung der in Westeuropa unter Türken aktiven Milli-Görüş-Bewegung, bis aus diesem Rahmen heraus die AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) unter dem jetzigen Premierminister Recep Tayyip Erdoğan (geb. 1954)[18] durch Wahlen 2002 zur herrschenden politischen Kraft wurde. Sie sieht sich in der Nähe konservativer Parteien mit religiösen Positionen und tendiert ausdrücklich dazu, Islamisierung nicht zum politischen Programm zu machen. Demokratische Entwicklungen können anscheinend und teilweise islamistische Rigorosität „zähmen“ und dürften für künftige Wandlungen nicht unwichtig sein.

Auf Grund der Spektralbreite und politischen Grundorientierung des Islamismus sind entsprechend den politischen Bedürfnissen Wandlungen möglich, bei denen einerseits die religiöse Symbolik bestimmter gesellschaftlicher und staatlicher Erscheinungen hervorgehoben wird, aber anderseits das religiöse Proprium in den privaten Bereich gedrängt werden kann. Doch kann es ebenso zu gegenläufigen Tendenzen, vor allem zu Radikalisierungen und extremistischen Reaktionen kommen.

6. Kleinere militante und fanatisierte Gruppen,[19] „Djihadisten“,[20] sind in den letzten Jahrzehnten insbesondere aus islamistischen und salafitischen Strömungen hervorgegangen und haben seit den siebziger Jahren auch terroristische Aktionen gegen Einheimische und Ausländer, oft Touristen aus Europa und Amerika, durchgeführt. Zuerst richteten sie sich aber gegen Kräfte im Verbreitungsgebiet des Islam. Ihre innere Stabilität  erwies sich dabei als relativ gering. Durch den Afghanistan-Krieg haben sie sich seit den achtziger Jahren zunehmend, nicht zuletzt mit differenzierter Unterstützung und Duldung westasiatischer und nahöstlicher Regimes sowie auch des CIA, internationalisiert und wohl gleichzeitig mafiose Züge, z.B. in der Wirtschaftskriminalität, angenommen. Häufig sind sie die Ergebnisse ganz konkreter innen- und außenpolitischer Konstellationen. Der Wandel derselben kann sie in die Bedeutungslosigkeit führen oder ihnen neue Rollen zuteilen. Der relativ schnelle Generationswechsel auf Grund des hohen Anteils von oft vagabundierenden, arbeitslosen, wenig gebildeten Jugendlichen mag dazu einen Beitrag leisten. Einzelne junge Intellektuelle, deren Wissen, Idealismus und Drängen nach gesellschaftlichem Einfluss und beschleunigten Elitenwechsel nicht zu unterschätzen ist, wurden auch von diesen Djihadisten angezogen. Die Autonomisierung der Strukturen und besondere Effektivität einzelner Handlungen kann die – oft symbolische - Bedeutung solcher Kreise kurzzeitig ansteigen lassen. Alle anderen islamischen Strömungen haben sich wiederholt in deutlichen Erklärungen von diesen Djihadisten distanziert. Da die Militanten aber bestimmte Auffassungen vertreten, die zum  Grundbestand nationalistischer Propaganda und allgemeiner kultureller Atmosphäre in vielen Ländern mit islamischer Bevölkerungsmehrheit gehören, z.B. „Antiamerikanismus“ und „Antizionismus“, können sie auch auf bestimmte Sympathien in breiteren Kreisen setzen. Unterstützung finden solche Tendenzen auch bei einzelnen Fanatikern, die z.B. über Moscheen eine oft gespannte Atmosphäre zusätzlich vergiften können und sich gleichzeitig oft hinter ihren Turbanen als religiöse Persönlichkeiten vor dem Zugriff von staatlichen Einrichtungen zu verstecken vermögen bzw. von diesen als Ventile instrumentalisiert werden.

7. Moderne religiöse Erneuerungsbewegungen sind z.B. zu sehen in der aus der Türkei stammende und unter gebürtigen türkischen Staatsbürgern verbreitete Nurcu Cemaati, die sich auf den kurdischen Religionsgelehrten Said Nursi (1876-1960) bezieht, dessen Schriften für seine Anhänger als quasi gleichberechtigt neben dem Koran stehen. In jüngerer Zeit hat sich eine aktive Gruppierung um den früheren Prediger Fethullah Gülen (geb. 1938) gebildet, die auch auf politische Entwicklungen in der Türkei Einfluss auszuüben versteht.[21]

8. Individuelle liberale Einstellungen zum Islam vertreten einzelne angesehene säkulare oder religiöse Intellektuelle sowohl sunnitischer wie schiitischer Herkunft, die meist von Westeuropa aus vor allem auf akademische Kreise wirken und sich aus einer kritischen Sicht der eigenen Tradition heraus den Fragen der Zeit zuwenden. Auch in Europa bekannte Beispiele sind der emeritierte Pariser Universitätsprofessor algerischer Abstammung Mohammed Arkoun (geb. 1928),[22] der jetzt im Exil in Leiden lebende ägyptische islamische Denker und Literaturwissenschaftler Nasr Hamid Abu Zaid (geb. 1943)[23] und der iranische Intellektuelle Abd el-Kerim Soroush (geb. 1945). Sie und ihresgleichen werden immer wieder Ziel militanter und fanatisierter religiöser Kräfte und gehören zu ihren bevorzugten Opfern. Sie sind meist auch den politischen Machthabern in ihren Herkunftsländern suspekt und dort entsprechend gefährdet. Gleichzeitig genießen sie besonderes Ansehen bei Intellektuellen ganz unterschiedlicher Tendenz, auch denen, die eher einer Art „Kulturislam“ zuneigen, d.h. die den Islam nicht zuerst als Religion, sondern eher als Teil ihrer Kultur betrachten. 

Diese und weitere Strömungen und Positionen sind gegenwärtig mit vielen Unterschieden und Varianten weltweit feststellbar. Weitere, auch schnelle und unerwartete Differenzierungen und Fragmentierungen organisatorischer wie ideeller Art gehen ununterbrochen vor sich, allerdings ist auch von historisch gewachsenen und anhaltenden Kontinuitäten auszugehen. Auf Grund der Nutzung moderner Kommunikationsmittel können auch kleine Gruppen und einzelne Persönlichkeiten relativ schnell weltweites Interesse unter Muslimen finden, keineswegs nur mit Problemen politischer Art.[24]

Beim verständnissuchenden Umgang mit Muslimen sollte man diese Vielfalt im Auge behalten, um ihre konkreten Positionen konkret zu verstehen und sie nicht unbedacht für ein undifferenziertes Gesamtbilde Islam verantwortlich zu machen, ohne dass verlangt werden kann, dass jedermann sich gleich in eine der oben genannten Gruppen einordnen kann und will. Die innere Vielfalt des Islam und die persönliche Freiheit des einzelnen Muslims, seine individuelle Haltung zu seiner Religion auf Grund seiner nicht allein religiösen Bedürfnisse und seiner eigenen, oft  räumlich und zeitlich weit reichenden Traditionen zu beziehen, dürfen dabei nicht aus dem Auge verloren werden. 

Holger Preißler

Der Autor ist Professor der Religionswissenschaft mit Schwerpunkt Islam. Er war geschäftsführender Direktor des Seminars für Religionswissenschaft und Dekan der Fakultät für Geschichte, Kunst-und Orientwissenschaftten der Universität Leipzig.


[1] Vgl. die Umfrage des Leipziger Marktforschungsinstituts vom Ende September 2001: Von 1001 Befragten  meinten: 31 % eigentlich weiß ich über den Islam so gut wie nichts; 36 % ich würde sagen, ich weiß etwas über den Islam;  9 % ich würde sagen, ich weiß ganz gut über den Islam Bescheid;  22 % hatten überhaupt kein Interesse an Religionen.

[2]  Vgl. in einem größeren Rahmen  z.B. die jüngeren Studien von  W. Laqueur, Die globale Bedrohung. Neue Gefahren des Terrorismus, Berlin 1998, München 2001; ders., Krieg dem Westen. Terrorismus im 21. Jahrhundert, Berlin 2003; E. Serauky, Im Namen Allahs. Der Terrorismus im Nahen Osten, Berlin 2000.

[3] Vgl. E.W. Said, Orientalismus, Frankfurt a.M. 1981; ders., Kultur der Einfühlung, in: Le Monde diplomatique. Beilage der tageszeitung vom 12. September 2003, S. 1, 12.

[4] Vgl. K. Hafez (Hg.), Der Islam und der Westen. Anstiftung zum Dialog, Frankfurt a. M. 1997;  T. Hannemann, P. Meier-Hülsing (Hg.), Deutscher Islam – Islam in Deutschland, Marburg 2000; P. Heine, Konflikt der Kulturen oder Feindbild Islam. Alte Vorurteile – neue Klischees – reale Gefahren, Freiburg 1996. Siehe zuletzt aber auch  die rassistischen Wutausbrüche der angesehenen italienischen Journalistin Oriana Fallaci, deren Buch  „Die Wut und der Stolz“, München 2002,  zu einem Bestseller in Westeuropa gemacht wurde. 

[5] Vgl. z.B. G. Kepel, Zwischen Kairo und Kabul. Eine Orient-Reise in Zeiten des Dschihad, München 2002.

[6] Vgl. die Arbeiten der Nachwuchsgruppe „Islamische Bildungsnetzwerke im lokalen und transnationalen Kontext“ (VolkswagenStiftung) an der Ruhr-Universität Bochum.

[7] Vgl. A. Rashid, Taliban. Afghanistans Gotteskrieger und der Dschihad, München 2000, 2001.

[8]  Vgl. O. Roy, Neo-Fundamentalism, in: www.ssrc.org/sept11/essays/roy.htm.

[9] Vgl. B. Lewis, Die politische Sprache des Islam, Berlin 1991.

[10] Vgl. z.B. die islamische organisatorische Vielfalt in Berlin der sachlichen und umfassenden Darstellung von N. Grübel, S. Rademacher (Hg.), Religion in Berlin. Ein Handbuch, Berlin 2003.

[11] Türkisch Nakşibendi. Vgl. J. Hüttermann, Islamische Mystik. Ein ‚gemachtes Milieu’ im Kontext von Modernität und Globalität, Würzburg 2002. (Religion in der Gesellschaft 12). Zur Verbindung zwischen Sufigemeinschaft und Religionspolitik am Beispiel des syrischen Großmuftis Ahmad Kaftaro und seiner weltweit expandierenden Sufi-Einrichtung  vgl. A. Böttcher, Syrische Religionspolitik, Freiburg 1998.

[13] Diese zahlenmäßig starke, inzwischen weltweit verbreitete Bewegung ist bisher wissenschaftlich erstaunlich unzureichend analysiert worden. Vgl.  M. Kh. Masud (Hg.), Travellers in Faith. Studies of the Tablîghî Jamâ`at as a Transnational Islamic Movement for Faith renewal, Leiden 2000; s. die Websites http://almadinah.org und http://www.tabligh.com.

[14] Die islamische Eigen- und Fremdbegrifflichkeit ist oft fließend, die öffentliche Bezeichnung oft unklar. Salafismus, arabisch Salafiyya, ist d i e Grundströmung des Islams im 20. Jh., die sich idealisierend auf die ersten Generationen des Islams, die „Altvorderen“ (salaf), bezieht, die für sie sozusagen die anzustrebende „Goldene Zeit“ darstellt. So verstehen sich z. B. auch die „islamistischen“ Muslimbrüder als Salafiten. In Bezug auf heutige Strömungen wird „salafitisch“ meist auf  die rigoros-traditionalistische Tendenzen eingeengt, die einen besonderen Bezug zum Wahhabitentum in Saudi-Arabien besitzen. Als „Wahhabiten“ werden  in Bezug auf aktuelle Ereignisse in der politischen Literatur inzwischen vor allem militante Aktivisten mit anzunehmender salafitischer Tendenz bezeichnet. Die Salafiten im oben genannten Rahmen sind bisher kaum wissenschaftlich analysiert worden bzw. einseitig nach ihren militanten Gemeinschaften dargestellt worden.

[15] Vgl. z.B. die Kanzelpredigten in englischer und arabischer Sprache in www.alminbar.com oder auch detaillierte Darstellungen in  www.salaf.de.

[16] Vgl. zu ihnen u.a. G. Kepel, Das Schwarzbuch des Dschihad. Aufstieg und Niedergang des Islamismus, München, Zürich 2002; A. Metzger, Der Himmel ist für Gott, der Staat für uns. Islamismus zwischen Gewalt und Demokratie, Göttingen 2000.

Dieser Begriff hat, u.a. in dem Bemühen zwischen Islam und bestimmten politischen Kräften zu unterscheiden, seit der Jahrtausendwende starke Verbreitung gefunden, wird partiell auch von islamischen Kreisen selbst verwendet, neigt aber inzwischen durch den extensiven Gebrauch auch dazu, unscharf  und beliebig zu werden.

[17] Vgl. diverse Äußerungen von al-Qaradâwi und anderen hier genannten Personen in deutscher Übersetzung in H. Preißler, Stimmen des Islam. Zwischen Toleranz und Fundamentalismus, Leipzig 2002.

[18] Vgl. z.B. sein Porträt von R. Hermann, Der Mittelstürmer, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 16. März 2003, S.10. Dort werden die unterschiedlichen politischen, sozialen und religiösen Bindungen dieses Politikers deutlich, übrigens auch seine Beziehungen zur Nakşibandi-Bruderschaft. 

[19] Vgl. z.B. G. Steinberg, Islamismus und islamistischer Terrorismus im Nahen und Mittleren Osten. Ursachen der Anschläge vom 11. September 2001, Sankt Augustin 2002.

[20] Der Begriff „Djihadist“ hat eine gewisse Verbreitung für diese gefunden, denn sie absolutieren das allgemeine islamische Konzept des Djihad in einem radikal-militanten Sinn.

[21] Vgl. R. Herrmann, Fethullah Gülen. Eine muslimische Alternative zur Refah-Partei? In: Orient 4, 1996, 619-645. Siehe auch seine deutschsprachige Homepage www.fguelen.de.

[22] Empfehlenswert ist in deutscher Sprache sein Buch: Der Islam. Annäherung an eine Religion, Heidelberg: Palmyra 1999.

[23] Vgl. seine Geschichte in N. H. Abu Zaid, Ein Leben mit dem Islam, Freiburg u.a. 1999. Dieses Buch ist gleichzeitig geeignet, persönliche Haltungen und die jüngere Geschichte Ägyptens plastisch vor Augen zu führen. Zu aktuellen Fragen äußerte sich N. H. Abu Zaid  z.B. in:  www.zenithonline.de.

[24] Zu solchen modernen Erscheinungen gehört die in Tucson (USA) beheimatete Gemeinde von Rashad Khalifa (1935-1990), einem ägyptischen Biochemiker, der sich in den USA 1988 zum neuen islamischen Propheten erklärte und durch seine auf rechnerischen Spekulationen beruhenden, letztlich eschatologischen Koran-Interpretation weltweit Sympathisanten fand. Er wurde 1990 in seiner Moschee in Tucson ermordet. Seine Haltungen werden gerade von Salafiten entschieden bekämpft. Seine Anhänger geben eine eigene Zeitschrift heraus und verfügen über eine mehrsprachige Website in www.submission.org.

 

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