Die
Eigenschaften Gottes im Koran und Islam
Dr.
Christine Schirrmacher Institut
für Islamfragen, Bonn Der
Koran enthält an keiner Stelle eine systematische Abhandlung über das Wesen
oder die Eigenschaften Gottes, der im arabischen "Allah" genannt
wird, was nichts anderes bedeutet als "der Gott". Er wird im Koran
nicht wie im Alten Testament vorgestellt ("Ich bin, der ich bin" 2.
Mose 3,14). Er bleibt vielmehr verborgen, ein Geheimnis. Er ist vollkommen
losgelöst von seiner Schöpfung und in keiner Weise mit seinen Geschöpfen
vergleichbar, denn "nichts ist ihm gleich" (Sure 42,11). Weil Gott
ein Geheimnis ist, kann der Mensch sich keine Vorstellung von ihm machen. Das
stände ihm auch gar nicht zu. Er kennt nur die Namen Gottes, die ihm im Koran
beigelegten Attribute und erfährt von seinem Handeln mit den Menschen. Daß
Gott nur einer ist, ihm nichts gleicht und er mit nichts zu vergleichen ist,
das ist das Zentrum der koranischen Botschaft und der islamischen Dogmatik,
der "tauhid" (die Einsheit Gottes): "Er ist Gott, ein Einziger,
Gott der Ewige! Er zeugt nicht, und er wurde nicht gezeugt! Und es gibt
niemand, der ihm gleicht!" (112,1-4) Dieser
Gott wird vor allem von drei Bereichen gekennzeichnet, von Schöpfung,
Erhaltung und Gericht. Der Koran berichtet, daß Gott am Anfang die Welt und
die Menschen erschuf. Am Ende der Tage wird jeder Mensch ins Gericht kommen
und Vergeltung erfahren von dem allmächtigen, aber auch gnädigen Gott, dem
nichts verborgen bleibt, auch kein Blatt, das zu Boden fällt (6,59). Gott
ist der einzige Gott, transzendent und existent, allmächtig und allgegenwärtig,
unveränderlich und unvergänglich, ewig und unerschaffen, allwissend und
unumschränkt in seiner Herrschaft: "Er zeugt nicht und ist nicht
gezeugt. Messungen können ihn nicht umfassen, Schleier können ihn nicht
bedecken. Die versuchen ihn zu ergreifen, können ihn nicht erfassen, nach dem
Menschen kann er nicht gemessen werden, das Geschöpf gleicht ihm unter keinem
Aspekt"[1].
Heute hat sich im Islam die Auffassung durchgesetzt, daß Allah 99 Namen
besitzt, mit denen die Gläubigen ihn anbeten können. Gott,
der Richter
Schon
in der Frühzeit des Islam verkündigte Muhammad Gott als Richter im Jüngsten
Gericht, in dem alle Menschen ohne Ausnahme zur Verantwortung für ihr Handeln
und ihren Glauben gezogen werden: "Die Stunde (ergänze: des Gerichts)
kommt bestimmt. An ihr ist kein Zweifel möglich" (40,59). Am Ende der
Zeiten, zur von Gott festgesetzten Stunde, werden Tote und Lebendige zu Gott
"zurückgebracht": "Und macht euch auf einen Tag gefaßt, an
dem ihr zu Gott zurückgebracht werdet. Dann wird jedem voll und ganz das
vergolten, was er (ergänze: während seines Lebens) begangen hat! Und ihnen
(ergänze: den Menschen vor Gericht) wird nicht Unrecht getan" (2,281),
denn Gott wird absolut gerecht richten. Das Tun jedes Menschen, das in einem
Buch verzeichnet ist, wird auf einer Waage gewogen. Gläubige Muslime kommen
ins Paradies, während Ungläubige auf ewig in die Hölle geworfen werden. Gott,
der Allmächtige
Die
Allmacht Gottes ist eines der wichtigsten Kennzeichen Gottes im Koran. Oftmals
hebt der Koran hervor, wie machtlos dagegen die Götzen sind. Nach Sure
22,73-74 können die Götzen mit gemeinsamer Anstrengung noch nicht einmal
eine Fliege erschaffen, während der Allmächtige der Schöpfer des Himmels
und der Erde und jedes einzelnen Menschen ist. Dem Menschen kommt es zu, die
Allmacht Gottes und sich selbst als sein Geschöpf und Diener anzuerkennen,
sich ihm zu unterwerfen und an ihn zu glauben, denn er schuldet ihm für sein
beständiges Erbarmen Dank und Anbetung. Obwohl
es zwischen dem transzendenten Schöpfer und dem vergänglichen Geschöpf,
dem Menschen, eigentlich keinen Vergleich und keine Verbindung gibt, hat Gott
dem Menschen Wissen über ihn zukommen lassen. Wissen allerdings nicht im
eigentlichen Sinn über seine Person und sein Wesen, denn es ist undenkbar, daß
Gott seine Transzendenz überschritte, für menschliche Augen sichtbar würde
oder in die Welt käme, um sich in menschlicher Weise zu offenbaren. Gott übermittelte
vielmehr dem Engel Gabriel sein Wort, der es den einzelnen Propheten in der Geschichte
überbrachte. Die Propheten übermittelten dann Gottes Botschaft den Menschen.
So wurde die Offenbarung Gottes herabgesandt. Trotz
der Offenbarung und Gottes Handeln in der Geschichte bleiben der Bereich
Gottes und der des Menschen deutlich und unüberwindbar voneinander abgegrenzt.
Das bedeutet jedoch nicht, daß Gott dem Menschen fern wäre. Der Koran
spricht vielmehr davon, daß Gott dem Menschen "näher ist als seine
Halsschlagader" (50,16). Damit wird jedoch vor allem Gottes Allgegenwart
betont. Auch die Aussage: "er ist der Freund der Gläubigen" (3,68)
betont Gottes Erbarmen mit den Menschen, ist aber auf keinen Fall so zu
verstehen, daß Gott mit den Menschen etwas gemeinsam hätte. Unvereinbar mit
dem koranischen Gedanken von der Unvergleichlichkeit Gottes mit seinen Geschöpfen
wäre auch, Gott als "Vater" zu bezeichnen, als Vater Jesu Christi
und Vater seiner Geschöpfe. Den Gedanken der Gottessohnschaft und Vaterschaft
Gottes, der im Islam im physischen Sinn verstanden und in Bezug auf den
christlichen Glauben aufgegriffen wird, lehnt der Koran entschieden ab, ebenso
wie die christliche Auffassung von der Dreieinigkeit, die nach Auffassung des
Korans ebenso Vielgötterei bedeutet wie der Polytheismus der arabischen
Landsleute Muhammads. Außer
durch den Koran spricht Gott zu den Menschen durch "Zeichen", die
der Mensch in der Schöpfung erkennen kann, sowie in den früheren Propheten
und den Berichten, wie Gott mit ihnen und ihrem Volk handelte. Mit diesen
Zeichen ergeht sozusagen der 'Ruf' Gottes an die Menschen, den sie
entweder mit Unglauben oder Glauben beantworten können. Klassisch
formuliert der Prophet Noah im Koran die Aufforderung Gottes an seine
Landsleute: "Dienet Gott, fürchtet ihn und gehorcht mir" (71,3). Die
Allmacht Gottes, die im Koran an ungezählten Stellen zur Sprache kommt, umfaßt
alle Bereiche. Gott erschuf die Welt, die Tiere und Menschen, die Geister und
die Engel, das Gute und das Unheil: "Kein Unheil geschieht, weder auf der
Erde noch bei euch, das nicht in einem Buch wäre, noch ehe wir es erschaffen.
Dies ist Gott ein leichtes" (57,22), denn "uns wird nur das treffen,
was Gott uns bestimmt hat" (9,51). Gott
bestimmt den Todeszeitpunkt jedes Menschen: "Aber Gott wird niemandem
Aufschub gewähren, wenn seine Frist kommt" (63,11). Es ist letztlich
Gott, der Glauben und Unglauben bei den Menschen hervorbringt: "Und
wenn Gott einen rechtleiten will, weitet er ihm die Brust für den Islam. Wenn
er aber einen in die Irre führen will, macht er ihm die Brust eng und bedrückt,
als wenn er in den Himmel emporsteigen müßte. So straft Gott diejenigen,
die nicht glauben" (6,125). Noch deutlicher spricht Sure 7,179 davon, daß
"viele von den Geistern und Menschen für die Hölle geschaffen"
wurden. Die Antwort auf die Frage, warum nicht alle Menschen Muslime werden,
lautet im Koran: Gott hat es nicht gewollt: "Und wenn dein Herr nur
wollte, würden die, die auf der Erde sind, alle miteinander gläubig werden.
Willst nun du die Menschen zwingen, daß sie glauben? Niemand darf gläubig
werden, es sei denn, Gott erlaubt es ihm" (10,99-100). Gleichzeitig
betont der Koran, daß jeder Mensch von Gott im Jüngsten Gericht für seinen
Glauben oder Unglauben zur Rechenschaft gezogen wird. Jedem Menschen wird
am Jüngsten Tag das vergolten, was er hier auf der Erde getan hat, sei es
Gutes oder Böses: "Gott verlangt von niemandem mehr, als er vermag.
Jedem kommt zugute, was er verdient, und über ihn bricht herein, worin er
gesündigt hat" (2,286). Beide scheinbar miteinander unvereinbare
Positionen - die Verantwortung des Menschen und Gottes Bestimmung eines jeden
Menschen zu Glauben oder Unglauben - stehen im Koran nebeneinander. Der Mensch
kann Gott nicht für seinen Unglauben oder seine Sünden verantwortlich
machen. Wenn er aber als gläubiger Muslim ins Paradies eingehen darf, ist es
Gottes Erbarmen. Diese
Koranverse zur Prädestination können als Spiegel der Situation Muhammads
betrachtet werden: Mit seinem Ruf zur Umkehr zu Gott, dem Einzigen und Allmächtigen,
wendet er sich gegen den im vorislamischen Arabien verbreiteten absoluten
Schicksalsglauben seiner Zeigenossen. Gleichzeitig muß er sich aber selbst
die anhaltende Verstocktheit der Mekkaner und teilweise auch der Medinenser
erklären, die seiner Botschaft in den ersten 12 Jahren seiner Verkündigungen
so gut wie gar keinen Glauben schenkten. So verbindet sich im Koran die
Allmacht Gottes und Vorherbestimmung aller Dinge mit der Verantwortung des Menschen. Da
Gott allmächtig ist und niemand je sein Wesen erfaßt und erkannt hat, kann
der einzelne Muslim nicht mit Gewißheit wissen, ob Gottes Barmherzigkeit und
Gnade für ihn gelten oder ob er ihm am Ende der Tage doch zürnen wird und
ihn zur Hölle verurteilt: "Nicht so der Herr der Menschen in aller Welt,
der mich geschaffen hat und nun rechtleitet, der mir zu essen und zu trinken
gibt und mich heilt, wenn ich krank bin, der mich sterben läßt und dann
lebendig macht, und von
dem ich hoffe, daß er mir am Tag des Gerichts meine Sünde vergibt"
(26,77-82). Zwar wird Gott als der Gnädige und Barmherzige, ja auch als der
Verzeihende und Großmütige bezeichnet, aber über die Vergebung in Bezug auf
seine eigene Person wird jeder Muslim erst nach seinem Tod Gewißheit
erlangen. Gottes Entscheidung im Gericht vorherzusagen, hieße, seine
Allmacht zu beschränken. Gottes Verhalten ist niemals vorhersagbar, sonst würde
er sich ja in menschliche Vorstellungsweisen hineinzwängen lassen. Auf Gott
kann niemand und nichts Einfluß nehmen. Er ist niemand Rechenschaft schuldig.
Außerdem ist der Gott des Korans auch ein listiger Gott. Immer wieder wird betont,
daß er sich die besten Listen ausdenkt. Sure 13,13 formuliert: "Gott ist
voller Tücke" (wörtlich: "Gott ist stark/mächtig in List"),
und: "Die Ungläubigen schmieden Ränke. Aber Gott schmiedet Ränke. Er
kann es am besten" (8,30). Gott,
der Schöpfer
Außer
der oft wiederholten, allgemeinen Feststellung, daß Gott den Himmel und die
Erde, sowie alle Menschen geschaffen hat, enthält der Koran keinen
detaillierten Bericht über die Schöpfung, so wie das Alte Testament. Eine
gewisse Ausnahme bildet Sure 41,9-13, die die Schöpfung in sechs Tagen beschreibt:
Zuerst schuf Gott in zwei Tagen Himmel und Erde aus einer Urmasse, dann
setzte er die Berge, Flüsse und Pflanzen auf die Erde. Aus dem Wasser erschuf
er die verschiedenen Tiere und machte den Menschen zum Beherrscher der
Tiere. An keiner Stelle im Koran allerdings heißt es, daß der Mensch
"zum Bild Gottes" geschaffen sei, wie es das Alte Testament betont
(1.Mose 1,21). Dies wäre nicht vereinbar mit der Größe und Einzigartigkeit
Gottes, die in keinem Vergleich zum Menschen stehen kann. Außerdem war nach
Sure 40,57 die Erschaffung von Himmel und Erde ein "größeres
Wunder" als die Erschaffung des Menschen. Dagegen ist nach dem Schöpfungsbericht
des Alten Testamentes die Erschaffung des Menschen eindeutig der Höhepunkt
der Schöpfung (1.Mose 1,21-31). Übereinstimmend
mit der Bibel berichtet der Koran, daß die gesamte Menschheit von einem
einzigen Menschenpaar abstammt (6,98). Adam wurde aus einem Klumpen Lehm
erschaffen. Gott sprach: Sei! (arab. "kun!"), und Adam war
erschaffen (3,59). Das Schöpferwort Gottes läßt Dinge geschehen: "Und
wenn er eine Sache beschlossen hat, sagt er zu ihr nur: Sei!, dann ist
sie" (40,68). Nach
der Schöpfung hat Gott seinen von den Engeln getragenen Thron im siebten Himmel
bestiegen (7,54). Von dort aus regiert er das All. In den unteren Himmeln
befinden sich der Mond, die Sonne und die Sterne. Am untersten der sieben
Himmel wacht ein Wächter, damit dort nicht die Satane den Ratschluß der
Engel belauschen (37,1-9). Die Abfolge von Tag und Nacht ist Gottes Schöpferwerk
(10,6). Die Sonne und der Mond geben am Tag und in der Nacht Licht und den
Menschen durch ihren Lauf Mittel und Wege zur Zeitrechnung an die Hand
(10,5). Gott stützt den Himmel, der ohne Säulen gebildet wurde (13,2), damit
er nicht auf die Erde niederfällt (22,65). Ausdrücklich betont der Koran,
daß Gott nach der Schöpfung nicht ermüdet war und nicht ruhte, wie es der
Gott der Bibel tat: "Wir erschufen die Himmel und die Erde und was zwischen
beiden liegt, in sechs Tagen. Doch es berührte uns keinerlei Ermüdung"
(50,38). Gott wird weder müde, noch braucht er Schlaf. Den Sabbat hat Gott
nicht den Muslimen zugedacht (16,124), und so existiert bis heute in der
islamischen Welt kein offizieller wöchentlicher Ruhetag, obwohl der Freitag
eine Sonderstellung einnimmt. In einigen Ländern wurde aufgrund der europäischen
Kolonialherrschaft der Sonntag als Ruhetag eingeführt. Auf
der Erde ist der Mensch ein von Gott eingesetzer "Nachfolger" oder
"Stellvertreter". Gott überantwortet dem Menschen für seine kurze
Lebenszeit Güter, gibt ihm Vollmacht darüber und schenkt ihm Wohlergehen,
fordert am Ende seines Lebens jedoch Rechenschaft darüber, wie der Mensch sie
verwaltet hat und ob er hinter diesen materiellen Dingen Gott als Geber
aller Dinge erkannt hat. Deutlich geht aus dem Koran hervor, daß es
gottgewollt ist, daß es Reiche und Arme gibt. Beide sollen gleichermaßen
Gott als Schöpfer und Geber anerkennen, denn Gott stellt die Menschen in
ihren verschiedenen Lebenslagen nur auf die Probe (z. B. 6,245), um zu
sehen, wie sie sich darin bewähren würden. Für den Menschen ist diese Fürsorge
Gottes ein Zeichen, an dem er Gott als Schöpfer erkennen sollte: "Er
ist es, der aus den Wolken Wasser herniederkommen läßt ... Darin liegt ein
Zeichen für Leute, die sich mahnen lassen ... Vielleicht würdet ihr dankbar
sein" (16,10-14). Gott,
der Barmherzige
Mit
Gott, wie er im Islam vorgestellt wird, wird oft das Bild eines willkürlichen
Despoten verbunden. Zu Unrecht, wie Muslime meinen, denn der Koran hebt
viele hundert Male die Gnade und Barmherzigkeit Gottes hervor. Jede Sure
(mit Ausnahme von Sure 9) wird eingeleitet mit "Im Namen Gottes, des
Gnädigen und Barmherzigen", oder, wie man auch übersetzen könnte:
"Im Namen des gnädigen und barmherzigen Gottes". Sure 7,156 formuliert
sogar: "Aber meine Barmherzigkeit kennt keine Grenzen." Für den
Glaubenden erweist sich Gott als barmherziger Wohltäter, der Nachsicht übt
und verzeiht, Gebete erhört und ihn beschützt, während der Ungläubige
in Gottes Gericht keine Gnade zu erwarten hat. Der
Koran betont, daß Allah sich dem Menschen durch seine Güte offenbart. Auch
Muhammad wird an die Güte Gottes erinnert und ermahnt die Menschen, der Güte
Gottes zu gedenken und Gott dankbar zu sein. Diese Dankbarkeit gegen Gott
und das Wissen, daß alles von ihm kommt, kennzeichnet den gläubigen Muslim,
während der Ungläubige zugleich auch immer ein Undankbarer ist, da er Gott
nicht anerkennt und sich ihm nicht unterwirft. Der Koran betont, daß Gott nur
die Rechtschaffenen liebt und auf seinem Weg nur diejenigen rechtleitet,
die seinen Willen tun. Seinen Feinden kommt Gott nicht entgegen, und die
über ihn spotten, haben von ihm nichts zu erwarten als Zorn und Verurteilung.
Er liebt nicht die Ungerechten, die Ungläubigen, die Übertreter und die,
die Böses tun. Der
Mensch steht im Verhältnis eines Dieners oder Sklaven zu Gott. Er soll sich
Gott und Gottes Willen ganz und gar ergeben (arab. aslama = sich ergeben,
hingeben, sich Gott ausliefern, sich in den Willen Gottes ergeben, Muslim
werden). Diese Stellung des Menschen Gott gegenüber kommt auch darin zum
Ausdruck, daß er sich vor Gott bei jedem seiner fünfmaligen täglichen
Gebete niederwirft. Sure 35,16 betont, daß die Menschen "arm und auf
Gott angewiesen" sind, während Gott seinerseits auf niemand angewiesen
ist. Wer Gott anruft, tut es - wie es im Gegensatz dazu die Bibel bezeugt -
nicht als sein Kind, sondern immer nur als Diener, das ist die einzige im
zukommende Position: "Niemand in den Himmeln und auf der Erde wird zum
Erbarmer anders denn als Diener kommen können" (19,93). Die
Unterwerfung des Menschen unter Gottes Allmacht und die Anerkennung seiner
Herrschaft führt den Menschen zur Furcht Gottes und zum Glauben an ihn.
Wenn sich der gnädige und barmherzige Gott im Koran den Menschen zuneigt,
dann bedeutet das, daß er ihnen für seine Offenbarung das Ohr öffnet
und sie den richtigen Weg, d. h., den Weg des Islams, führt. Allah,
ein Gott der Liebe?
Der
Gott des Korans wird jedoch nicht nur als Barmherziger und als Wohltäter beschrieben.
Mehrere Koranverse sprechen von der Liebe Gottes: "Sag: Wenn ihr Gott
liebt, dann folgt mir, so wird Gott euch auch lieben und euch eure Schuld
vergeben! Gott ist barmherzig und bereit zu vergeben" (3,31). Unter
muslimischen Theologen herrschen allerdings unterschiedliche Auffassungen
darüber, was unter der Liebe Gottes zu verstehen ist. "Die
Vertreter der Orthodoxie definieren die Liebe der Menschen zu Gott als die
Bereitschaft, ihm zu gehorchen und zu dienen, als die Liebe zu seinen
Bestimmungen, zu seiner Huld und zu seiner Belohnung. Denn, so argumentieren
sie, die Liebe als gegenseitige Neigung wie unter Freunden oder gar unter
Liebenden beinhaltet die Gleichstellung von Geliebtem und Liebendem.
Aber die Transzendenz Gottes verbietet es, an eine solche Beziehung
zwischen Gott und den Menschen zu denken. Daher ist die Annahme, daß
zwischen den Menschen und Gott eine solche Liebe der Freundschaft und der
Innigkeit bestehen kann, irrig, sie kommt einer unerträglichen Anmaßung
von seiten des Menschen und einer lästerlichen Herabwürdigung Gottes
gleich"[2]. Die
Ablehnung der Aussage, daß zwischen Gott und Menschen Liebe herrschen könnte,
entspringt der Vorstellung von der Allmacht Gottes, seiner Transzendenz und völligen
Andersartigkeit, aufgrund derer ein Vergleich zum Menschen, zu
zwischenmenschlichen Empfindungen oder Eigenschaften undenkbar wäre. Anders
als in der Orthodoxie ist in der islamischen Mystik die Auffassung von der
Liebe Gottes. Hier erstrebt der Gläubige die Annäherung an Gott und die
Verschmelzung mit ihm bis zur Innewohnung Gottes in seiner Person. Bei der
Versenkung des Gläubigen in Gott wird die Transzendenz Gottes aufgehoben,
der unüberwindbare Abstand zwischen Schöpfer und Geschöpf überbrückt.
Dies kann nur mittels der mystischen Versenkung geschehen, die von der
orthodoxen islamischen Theologie nicht selten auch deshalb hart angegriffen
wurde. Hier versucht jedoch der Mensch, Gott zu lieben, weiß aber letztlich
auch nicht, ob Gott ihn liebt. Unterschiede
zu biblischen Aussagen - Gott als ein Gott der Liebe:
Es ist zutreffend, daß sich zwischen der Beschreibung Gottes, wie sie uns der
Koran vermittelt wird und der Beschreibung Gottes, wie sie uns in der Bibel
entgegentritt, auf den ersten Blick manche Gemeinsamkeiten feststellen lassen,
die vielleicht umfassender sind als bei jedem anderen heiligen Buch einer
Religionsgemeinschaft. Gott, der Schöpfer, der Richter, der Herr über das
Universum, der den Menschen ein heiliges Buch übermittelt, die Vorstellung
von Sünde und Vergebung, das Fehlverhalten der ersten Menschen im Paradies,
Satans Versuche zur Verführung der Menschen zur Sünde und die Verurteilung
aller Ungläubigen zur Hölle bzw. die
Erlaubnis zum Eingang ins Paradies für die Gläubigen, die Erwähnung von
Adam, Hiob, Abraham, Mose, Jesus, Maria und einigen anderen biblischen
Personen im Koran könnten Anlaß zu der Überlegung geben, ob nicht die
Gemeinsamkeiten zwischen Bibel und Koran größer sind als ihre Unterschiede.
Diese Frage soll hier nur an einem einzigen Beispiel, der Liebe Gottes, näher
beleuchtet werden: Im
Vergleich zur Bibel fällt auf, daß der Koran zwar von der Gnade und
Barmherzigkeit, ja auch von der Liebe Gottes spricht, daß aber diese Liebe weder
das Wesen Gottes beschreibt, noch das Zentrum der koranischen Botschaft
darstellt. Das Zentrum der koranischen Botschaft ist vielmehr das Bekenntnis
zur Einzigartigkeit und Einheit Gottes (arab. tauhîd), sowie seine Allmacht
und Stärke. Obwohl
der Koran den Begriff der 'Liebe' benutzt, unterscheidet sich die Bedeutung
und Tragweite des Begriffs der 'Liebe' in Bibel und Koran grundlegend
voneinander. Wenn in vielen verschiedenen biblischen Büchern betont wird, daß
Gott nicht nur Liebe schenkt oder liebevoll handelt, sondern er selbst Liebe
ist
(1. Johannes 4,8+16), ein "Gott der Liebe" (2. Korinter 13,11), dann
geht die Tragweite dieser Botschaft weit über den koranischen Ansatz der
Liebe Gottes hinaus. Die Liebe zu seinen Geschöpfen existiert für Gott, wie
er in der Bibel beschrieben wird, nicht etwa in der Theorie. Die Liebe war
Beweggrund und Motor für sein Handeln in der Geschichte, die ihren Höhpunkt
fand in der Sendung seines Sohnes Jesus Christus, denn "so sehr hat
Gott die Welt geliebt, daß er seinen einzigen Sohn gab..." (Johannes
3,16). Der menschgewordene Gottessohn Jesus war ebenso wie sein Vater die Verkörperung
der Liebe, "die Liebe Gottes unter uns" (1. Johannes 4,9). Weil Gott
selbst Liebe ist, geht alle Liebe von Gott aus: "Ihr Lieben, laßt uns
einander lieb haben, denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von
Gott geboren und kennt Gott" (1. Johannes 4,7). Alle Beziehungen der
Menschen untereinander und ihre Beziehung zu Gott sollen von Liebe geprägt
sein. Das
größte Opfer und die selbstloseste Tat gelten vor Gott als nichtig, wenn ihr
Beweggrund nicht die Liebe zu Gott und dem Nächsten war. Das 'Hohelied der
Liebe' in 1. Korinter 13,1-3 beschreibt dies besonders eindrücklich:
"Wenn ich mit Menschen und mit Engelszungen redete und hätte die Liebe
nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn
ich prophetisch reden könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle
Erkenntnis und hätte allen Glauben, so daß ich Berge versetzen könnte,
und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.
Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen,
und hätte die Liebe nicht, so wär mir's nichts nütze" (1.
Korinther 13,1-3). Weil
Gott, der Ursprung aller Liebe, den Menschen seine Liebe schenkt, ist der
Mensch in der Lage, Gott und seinem Nächsten seinerseits Liebe zu erweisen.
Schon das erste der Zehn Gebote enthält diese Verpflichtung zur Liebe:
"Du sollst Gott, den Herrn lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und
von ganzer Kraft ... Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst"
(5. Mose 6,5 und 3. Mose 19,18, zitiert in Matthäus 22,37-39). Daher
soll das Wesen der Ehe und Familie, der Gemeinde und letztlich die Beziehungen
zu allen Menschen bis hin zu den Feinden von Liebe geprägt sein. Wenn der
Koran auch durchaus den Wert der Versöhnung zwischen verfeindeten Parteien
hochschätzt, so gibt er doch keinen Hinweis darauf, daß die Liebe gerade
dort regieren soll, wo es um das Verzeihen einer bösen Tat eines Feindes geht
(wie Paulus im Römerbrief: "Die brüderliche Liebe untereinander sei
herzlich. Einer komme dem anderen mit Ehrerbietung zuvor ... Nehmt euch der Nöte
der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft. Segnet, die euch verfolgen, segnet,
und flucht nicht ... Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Seid auf Gutes
bedacht gegenüber jedermann ... Vielmehr, wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm
zu essen, hat er Durst, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, wirst du feurige
Kohlen auf sein Haupt sammeln. Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern
überwinde das Böse mit Gutem" (Römer 12,9+13-14+17+20-21). Auch
der vor allem im Neuen Testament immer wieder geäußerte Gedanke, daß sich
Liebe besonders dort ausdrückt, wo Opfer gefordert sind, ist dem Koran
unbekannt. Im Neuen Testament begegnet uns dieser Opfergedanke natürlich
insbesondere im Zusammenhang mit dem Tod Jesu (Johannes 3,16), aber auch
allgemein: "Niemand hat größere Liebe als die, daß er sein Leben läßt
für seine Freunde" (Johannes 15,13). Daß das aufopferungsvolle Denken
und Handeln für andere, das das neutestamentliche Gemeindeleben und das Miteinander
in der Ehe und Familie kennzeichnen soll (Epheser 5), ein Liebesbeweis ist
("Das ist mein Gebot, daß ihr euch untereinander liebt, wie ich euch
liebe"; Johannes 15,12), das ist einzigartiges biblisches Gedankengut,
das ebenfalls nicht im Koran zu finden ist. Das
Alte und insbesondere das Neue Testament betonen mehrfach, daß der Motor
für das Handeln Gottes mit den Menschen seine Liebe ist, die ihn zum Retten,
zum Erinnern an seine Gebote durch seine Propheten und schließlich zum
Senden seines Sohnes veranlaßt. Höhepunkt der Liebe Gottes ist die
Kreuzigung, denn sie ist der Ausdruck des größten Opfers, das Gott für
die Menschen bringen konnte. Gott liefert sich durch Jesus seinen Feinden
aus, er gibt sich selbst hin, um Erlösung zu ermöglichen. Das Handeln
Gottes entspringt seiner Liebe für die Menschen, und zwar noch bevor sie
etwas für Gott erbracht haben oder ihn verehrten. Weil Gott seinen Sohn für
Menschen gegeben hat, kann auch der Mensch wieder auf diese Liebe antworten
und das tun, was Gott in seiner Liebe angeordnet hat. Diesen
umfassenden Liebesbegriff, der das Sorgen für andere, den Dienst und das
Opfer am Nächsten, ja sogar die Liebe des Feindes bis zum Tod miteinschließt,
kennt tatsächlich nur die Bibel, auch wenn der Koran die Begriffe Liebe und
Barmherzigkeit an vielen Stellen verwendet. Christine Chirrmacher ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Dr. Christine Schirrmacher ist Herausgeberin und übernimmt gleichzeitig die Schriftleitung der Zeitschrift Islam und Christlicher Glaube ( Islam and Christianity ) des Instituts für Islamfragen ( Institute of Islamic Studies ), in Bonn, BR Deutschland. [1]al-Asch'ari. Maqalat al-islamiyyin. Kairo 1950, I, S. 216-217, zitiert nach Johan Bouman. Gott und Mensch im Koran. Eine Strukturform religiöser Anthropologie anhand des Beispiels Allah und Muhammad. Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt, 1977/1989, S. 3 [2]Der Koran Arabisch-Deutsch. Übersetzung und wissenschaftlicher Kommentar von Adel Theodor Khoury. 10 Bde. Bd. 2: Sure 2,75-2,212. Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn: Gütersloh, 1991, S. 207-208 |
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