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Gong-An

von Zen-Meister Young San Seong Do

 

Das Gong-An (japanisch Koan) ist eine existentielle Frage, die der Schüler durch Seon (japanisch Zen)-Praxis zu lösen versucht.

In der Tradition des Seon-Buddhismus stellt ein erleuchteter Zen-Meister seinen Schülern gezielte Fragen, die als Gong-An, Wha-Du oder auch Gong-An der Patriarchen bezeichnet werden.
Zur Zeit sind etwa 1700 Gong-An's offiziell bekannt. Es gibt berühmte Gong-An-Sammlungen, wie das Byuck Am Rock, das Mumun Gwan, das Jong Gyoung Rok und das Seonmun Yeoumsong.

Wörtlich bedeutete im alten China das Wort Gong-An  " Offizielles Dokument ". Es handelte sich dabei um eine amtliche Bekanntmachung von absoluter Autorität. Musste ein solches Dokument kopiert werden, so prägte man je zur Hälfte auf Original und Abschrift ein gemeinsames Siegel. Die Echtheit der Kopie war erwiesen, wenn beide Hälften des Siegels zusammen passten.

In ebendieser Weise müssen in der Gong-An-Praxis des Seon-Buddhismus die Antworten des Schülers bzw. der Schülerin mit den Fragen des Meisters übereinstimmen. Der Geist des Schülers muss gewissermaßen mit dem Geist des Meisters eins werden, damit das Dharmasiegel (die Bestätigung der Erleuchtung) von Meister auf Schüler weitergegeben werden kann. Dies wird auch Übertragung von Geist zu Geist genannt.

Die Bedeutung der Gong-An-Aufgabe liegt darin, dass sie im Schüler oder in der Schülerin einen Zweifel, eine tiefe Frage, einen Geist des Suchens wachruft. Es geht dabei um diesen Zustand des In-Frage-Stellens und nicht um literarische Schönheit oder philosophisch interessante Paradoxien. Der fragende Geist steht für einen Seon-Praktizierenden, der noch keine Erleuchtung erreicht hat und sich bei seiner Suche nach der Wahrheit an einen Zen-Meister wendet.

So fragte einmal ein Mönch den berühmten Zen-Meister Dscho-Dschu :

" Hat ein Hund die Buddha-Natur, oder nicht ? "
" Nein , nichts ! "

antwortete Dscho-Dschu.

Diese Antwort musste dem Praktizierenden sehr zweifelhaft erscheinen, denn sie stand in deutlichem Gegensatz zu der Aussage des Buddha, dass allen Lebewesen die Buddha-Natur innewohne. Der Kern des Zweifels in diesem Gong-An liegt also in der Frage, warum Zen-Meister Dscho-Dschu, der selbst ein Schüler des Buddha war, das Gegenteil behauptete.

Natürlich hat die Antwort eines Zen-Meisters für Zen-Praktizierende große Gültigkeit, ebenso wie die Worte des Buddha. Der Praktizierende gerät hier also gewissermaßen in die Klemme zwischen Dscho-Dschu und Buddha. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als die Haltung des sich Anlehnens an vorgegebene Lehrsätze aufzugeben und den Sinn von Dscho-Dschu's Worten aus eigener Kraft zu ergründen. Warum hat Dscho-Dschu gesagt, der Hund habe keine Buddha-Natur ? Indem er sich diese Frage stellt, tritt der Praktizierende in die Welt des Zweifels ein. Ein solcher innerer Zweifel wird Gong-An genannt.

Die Gong-An's sind so beschaffen, dass sie niemals auf intellektuellem Wege durch weltliches Wissen oder mit gesundem Menschenverstand gelöst werden können. Das zu versuchen wäre so, als ob jemand auf einer Kuh reitend überall in der Welt nach jener Kuh sucht, auf der er die ganze Zeit reitet.

Das Gong-An zu erforschen bedeutet also alle Vernunft, alle Logik und alles bisherige Wissen aufzugeben, um sich ganz und gar auf den großen Zweifel des Gong-An's einzulassen.

 

Warum hat Dscho-Dschu gesagt, ein Hund habe keine Buddha-Natur ?  Die Praktizierenden sollten diese Frage ununterbrochen und konsequent aufrechterhalten. Die Antwort darauf können sie weder durch den Rat eines anderen, noch durch das Lesen von Büchern finden. Nur durch Selbsterkenntnis kann das Gong-An durchbrochen werden.

 

Hat ein Schüler eine Antwort auf die Gong-An-Frage gefunden, so sollte er oder sie unbedingt zu einem Zen-Meister gehen, um sich die Richtigkeit der Lösung bestätigen zu lassen.

 

Die Welt, in der wir leben, ist voller Rätsel.   Wer bin ich ?   Woher kam ich bevor ich geboren wurde ?   Wohin werde ich nach meinem Tod gehen ?   Wie ist das Universum entstanden und was hat es mit mir zu tun ?   Warum lebe ich überhaupt ?   Warum sterbe ich ?  All diese Fragen sind kontinuierlicher Zweifel.

 

Wir Menschen sind gefangen im Schleier dieser für uns scheinbar unlösbaren Geheimnisse, und dabei wagen wir es in der Regel nicht einmal uns solche Fragen überhaupt zu stellen.

 

Nach buddhistischer Auffassung sind aber die Umstände unserer Existenz etwas, das wir selbst erzeugen. Die großen Rätsel unseres Lebens können daher nur in uns selbst erlebt und gelöst werden. Wenn das Gong-An durch intensive Zen- Praxis durchbrochen wird, lösen sich alle Rätsel und Fragen auf, so wie sich Rauch verzieht. Dann kommt das Selbst in seinem reinen Sosein klar zum Vorschein.

Dieser Vorgang wird wachgerufen und in Gang gehalten durch einen fragenden, suchenden Geisteszustand. Deswegen ist es für die Seon-Praxis von so großer Bedeutung, sich die essentiellen Fragen des eigenen Lebens auch wirklich zu stellen. Für Praktizierende, die keinen Zweifel haben, gibt es keine Motivation und letztlich auch keinen Fortschritt.

 

Das Gong-An ist die treibende Kraft zur Erleuchtung. Die Arbeit mit dem Gong-An setzt einen Prozess in Gang, in dem die umherwandernden Gedanken in einer wesentlichen Frage aufgelöst werden. Auf diese Weise können die Rastlosigkeit des Verstandes, alles Leiden und alle Ängste überwunden werden.

 

Wer mit einem Gong-An arbeiten möchte, muss zu aller erst einen Zen-Meister aufsuchen. Von diesem wird er ein passendes Gong-An erhalten. Danach sollte er mit aller Kraft versuchen einen Zweifel über die Gong-An-Frage zu erzeugen und diesen ununterbrochen wach zu halten. Das Gong-An sollte für den Praktizierenden zu einer Art Lebensquelle werden. Wenn ein Schüler dagegen sein Gong-An aus den Augen verliert, bedeutet dies, dass sein Geist unkonzentriert und unruhig ist.

 

Das Seon im Sitzen ist besonders gut geeignet konstante Aufmerksamkeit zu entwickeln. Darüber hinaus geht es in der Gong-An-Seon-Praxis aber darum, die korrekte geistige Haltung fortwährend, in jeder Situation zu bewahren; sei es beim Seon im Sitzen, bei der Arbeit, in der Pause, in Leid und Einsamkeit oder wann auch immer. Auf diese Weise können sich die Seon-Praktizierenden letzten Endes von allem Leiden und sogar von Leben und Tod selbst befreien.

 

Eines Tages suchte ein Mönch namens Nam-Ak-Huai-Yang den sechsten Patriarchen Hui-Neng auf.   Als Hui-Neng den Mönch näherkommen sah, fragte er ihn:

" Was für ein Ding ist es, das da kommt ? "

Huai-Yang war sprachlos. Wie hätte er auf diese Frage antworten können? Hätte er sagen sollen, dieses Ding ist ein Mensch oder einfach eine Sache oder ein göttliches Wesen ? Er wurde ganz verlegen, antwortete : Ich weiß nicht ?, und zog sich schweißgebadet zurück. Von jenem Tag an hegte Huai-Yang einen intensiven und ununterbrochenen Zweifel in Bezug auf die Frage ? Was ist eigentlich dieses Ding ? . Als er schließlich eine klare Antwort gefunden hatte, begab er sich erneut zum sechsten Patriarchen Hui-Neng. Er teilte diesem seine Antwort mit und erhielt von Hui-Neng die offizielle Anerkennung. Später wurde Huai-Yang Hui-Neng's anerkannter Dharma-Nachfolger.

 

In seinem Ursprung geht das Gong-An bis auf Buddha Sakyamuni zurück. Im Tae-Bum-Chun-Wang-Mun-Bul-Kyu-Lui-Sutra heißt es : Als Buddha einst am Berg Young-Chui das Sad-Dharma-Pundarika-Sutra lehrte, hob er eine Blume, die ihm ein Mann namens Tae-Bum-Chun-Wang geschenkt hatte, und zeigte sie wortlos den Anwesenden. Niemand verstand die Bedeutung dieser Geste. Jedoch ein Schüler des Buddha, Mahakasyapa, lächelte. Als Buddha dieses Lächeln sah, sagte er :

" Ich übertrage den unaussprechlichen Dharma auf Mahakasyapa "

Mit dieser Übertragung des Dharma von Buddha auf Mahakasyapa begann die Geschichte der Patriarchen. Als Gong-An liegt aber der Angelpunkt dieser Geschichte in der Frage, warum Mahakasyapa lächelte als Buddha die Blume hochhielt.

 

Die Praktizierenden sollten hier ihre Frage auf die Ursache von Mahakasyapa's Lächeln richten. Denn, wenn man die Bedeutung von Mahakasyapa's Lächeln verstanden hat, versteht man automatisch auch den Sinn von Buddha's Geste. Dieses Gong-An wird das Yeom-Hwa-Mi-So Gong-An genannt ( " Als Buddha die Lotusblume hob, lächelte Mahakasyapa "). Es kann als der Ursprung des Seon-Buddhismus verstanden werden.

 

Nach Buddha wurde Mahakasyapa der zweite Patriarch des Buddhismus. Diese Übertragungslinie setzte sich in Indien von Meister zu Schüler bis zum 28. Patriarchen, Bodhi-Dharma, fort. Dieser ging von Indien nach China und praktizierte dort in einer Höhle hinter dem Sorim-Tempel (Shao-Lin-Tempel) neun Jahre lang Seon im Sitzen mit dem Gesicht zur Wand. Von Bodhi-Dharma geht der Seon-Buddhismus aus, der sich in direkten Übertragungslinien bis in die heutigen Tage erhalten hat.

 

Zusammenfassend kann man sagen, dass sich die Praktizierenden einzig auf den Gong-An-Zweifel stützen sollten. Natürlich gibt es im Zen auch noch andere Hilfsmittel und Lehrmethoden. Diese haben aber doch nur eine Bedeutung insofern sie zum eigentlichen Ziel des Seon, der Erleuchtung führen, und wie soll dies ohne Zweifel möglich sein ? Was gäbe es für jemanden, der zwar die Erleuchtung erlangen möchte, aber keinen Zweifel, keinen Geist des Suchens hat, schon zu erkennen ? Und wie sollte er die Erleuchtung erreichen ?

 

Das Gong-An ist die Triebkraft der Seon-Praxis, es ist die Urquelle der Erleuchtung. Der einzige Weg, den Zen-Praktizierende beschreiten müssen, ist die intensive Erforschung des Gong-An's.

Young San Seong Do

Zen-Meister Young San Seong Do Snim steht dem International Zen-Temple in Berlin als Abt vor. Der koreanische Zen-Meister gründete den Tempel, um Europäern Zugang zu dem koreanischen Gongan-Zen-Buddhismus (jap. Koan) zu ermöglichen. Als Dharmaerbe des Groß-Zen-Meister Hae-Am steht er in einer Übertragungslinie, die in direkter Folge bis auf Ma’tsu und die chinesischen Patriarchen zurück geht. Merkmal dieser koreanischen Linie ist die große Kraft und Lebendigkeit aus dem ursprüngliche Zen bzw. Chan der chinesischen Meister.

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