Wenn
Muslime Christen werden - Der Glaubensabfall im Islam
Christine
Schirrmacher Institut
für Islamfragen Hat
ein Muslim das Recht, den Islam zu verlassen und sich dem christlichen Glauben
zuzuwenden? Ist der Glaube an Gott eine Angelegenheit privater Überzeugungen,
oder haben Staat und Behörden darüber zu wachen? In der Beurteilung dieser
Frage unterscheiden sich Islam und Christentum sehr weit voneinander. In der
'aufgeklärten' westlichen Welt mit ihrer Trennung von Kirche und Staat gehört
der persönliche Glaube des einzelnen zu den privatesten Dingen überhaupt,
und nicht jedermann ist überhaupt bereit, über seinen Glauben Auskunft zu
geben. Viele Zeitgenossen halten gerade ihren von der Kirche losgelösten,
durch individuell gewonnene Überzeugungen erst geformten Glauben für den
'eigentlichen', den echten Glauben, der wahrer ist als der Glaube derjenigen,
die "immer in die Kirche rennen". Ganz anders dagegen im Islam:
Glaube und Religion sind dort grundsätzlich öffentliche Angelegenheiten, die
- je nach Land unterschiedlich intensiv - der Kontrolle des Staates
unterliegen. Wo der Islam Staatsreligion und tragende Säule der staatlichen
Ordnung ist, heißt, am islamischen Glauben festzuhalten, ein guter Staatsbürger
zu sein und vom Islam abzufallen Staatsverrat zu begehen. Zorn
und Strafe für den Abtrünnigen
Schon
der Unglaube eines Menschen an sich, der Gott nicht anerkennt und sich ihm
nicht unterwirft, ist im Koran eine schwere Sünde. Wer jedoch diesen Glauben
kennengelernt, sich dann aber wieder von ihm abgewandt hat, macht sich um so
schwererer Sünde schuldig. Der
Koran greift den Abfall vom Glauben an mehreren Stellen auf. Sure 16,106
spricht von Gottes "Zorn" und seiner "gewaltigen Strafe",
die ein Abgefallener (ein Apostat) zu erwarten hat. Sure 2,217 warnt eindringlich
davor, Gläubige zum Glaubensabfall zu verführen, denn dieses Vergehen
"wiegt schwerer als Töten". Dem Apostaten werden also seine übrigen
guten Werke vor Gott nichts mehr nützen, da ihm die Sünde des Abfalls nicht
vergeben und er in die Hölle geworfen wird. Sure 3,86-91 bezeichnet als
"Lohn" der Abtrünnigen, daß der Fluch Gottes, der Menschen und der
Engel auf ihnen liegt (3,87; 9,67-68) und daß es keine Möglichkeit des
Freikaufs oder der Fürsprache und der Hilfe für die Verfluchten gibt. Gott
kann den Abgefallenen unter gar keinen Umständen vergeben (4,137), denn
sie sind Ungläubige, die sich in besonderer Weise strafbar gemacht haben.
Dennoch ist bemerkenswert, daß der Koran außer der Strafe im Jenseits kein
konkretes Strafmaß für das Diesseits oder ein bestimmtes Verfahren für die
Bestrafung eines Abtrünnigen beschreibt. Willentliche
Abkehr vom Islam
Unter
Abfall vom Islam, unter Apostasie, (arab. irtidâd) versteht man die bewiesene,
willentliche Abkehr eines als Muslim Geborenen oder später zum Islam
Konvertierten vom islamischen Glauben. Er muß im Vollbesitz seiner
geistigen Kräfte sein und ohne Zwang gehandelt haben, damit der Tatbestand
der Apostasie gegeben ist. Abfall bedeutet Leugnung des einzigen, wahren
Gottes, Allahs, und die Nichtanerkennung Muhammads als Prophet Gottes. In
der Praxis ist die Auffassung der islamischen Theologen darüber, was
Glaubensabfall ist, allerdings nicht ganz so einhellig. Der Koran nennt zwar
die Tatsache des Abfalls, definiert aber nicht genauer, ob beispielsweise
die Vernachlässigung der Befolgung der fünf Säulen des Islam (Bekenntnis zu
Gott, das fünfmalige tägliche Gebet, Fasten im Monat Ramadan, Almosengeben
und Wallfahrt nach Mekka) bereits als Abfall vom Islam zu werten ist. Wer z.
B. für das Versäumnis des fünfmal täglichen Pflichtgebets keinen Entschuldigungsgrund
nennen kann und keine Einsicht und den Wunsch zur Besserung zeigt, gilt nach
Meinung der Malikiten, Shâfi'iten und Hanbaliten (also drei der vier
sunnitischen Rechtsschulen) als Abgefallener vom Islam, denn das vorsätzliche
Versäumnis des täglichen Gebets gilt als eine der schwersten Sünden überhaupt.
Abû Hanîfa (der Vater der hanafitischen Rechtsschule), betrachtet denjenigen
prinzipiell noch als Gläubigen, schlägt aber zu seiner Besserung eine Gefängnisstrafe
vor, bis der Abtrünnige wieder zum Gebet bereit ist[1]. Keine
Apostasie liegt dagegen vor, wenn z. B. die Erfüllung der fünf Säulen nur
vernachlässigt wird, dies aber nicht vorsätzlich geschieht. Dies ist Sünde,
die mit einer Strafe nach Ermessen des Richters geahndet wird[2].
Apostasie liegt erst dann vor, wenn die Glaubenspflichten willentlich nicht
mehr befolgt werden. Glaubensabfall
ist Staatsverrat
Apostasie
findet also nicht nur dort statt, wo das Bekenntnis zum Islam theoretisch geleugnet
wird, sondern auch dort, wo es in der Praxis z. B. durch Ablehnung seiner
Glaubenspraxis geschieht. Die Herabsetzung des Propheten Muhammads oder
eines Korans (durch Beschmutzen oder Verbrennen o. ä.) oder auch die
Verunglimpfung der 99 schönsten Namen Allahs fällt ebenfalls unter den
Tatbestand der Apostasie[3].
Apostasie ist außerdem bei Praktizierung von Zauberei oder bei der
Anbetung von Bildern oder Gegenständen gegeben, denn dies ist Götzendienst.
Auch der Glaube an die Seelenwanderung bedeutet Abfall vom Glauben, da damit
die Auferstehung geleugnet wird, ja, auch das Betreten einer Kirche kann
als Apostasie aufgefaßt werden[4].
Wer Muhammad einen körperlichen Mangel andichtet oder die Vollkommenheit
seines Wissens, seiner Moral oder Tugend leugnet oder etwas Abfälliges über
die Engel sagt[5],
ist gleichermaßen als Abgefallener zu betrachten. Glaubensabfall
ist im Islam grundsätzlich ein Vergehen, das nicht - wie in der westlichen
Welt - eine Privatangelegenheit oder - durch einen Kirchenaustritt -
allenfalls eine Angelegenheit der Kirche ist, sondern den Staat zum Handeln
veranlaßt. Glaubensabfall ist Verrat an der muslimischen Gemeinschaft (der
umma) und Unterminierung des muslimischen Staates, denn der Islam ist die
tragende Säule der Gesellschaft und des Staates selbst. Abfall bedeutet
daher Aushöhlung der bestehenden Ordnung und Erschütterung der Gemeinschaft,
Landes- und Staatsverrat. Staatsverrat muß vom Staat geahndet werden. Glaubensabfall
verlangt die Todesstrafe
Zwar
macht der Koran verhältnismäßig knappe Angaben über den Strafbestand der
Apostasie. Die islamische Theologie hat jedoch, ausgehend von den koranischen
Warnungen vor dem Glaubensabfall und vor dem Hintergrund der islamischen
Überlieferungen, Anweisungen für die Behandlung und Bestrafung der
Abgefallenen ausformuliert. Nur eine Minderheit unter den Theologen hat angenommen,
die Warnung des Korans vor dem Glaubensabfall sei eine Mahnung an das eigene
Gewissen, und der Staat müsse in einem solchen Fall nicht eingreifen[6]. So
warnt z. B. Sure 4,88-89 vor irregeführten "Heuchlern", die Gott
in die Irre geleitet hat und für die es von menschlicher Seite keine Möglichkeit
der Rückführung gibt. Diese Irregeleiteten sind eine Gefahr für die
muslimische Gemeinschaft, denn "sie möchten gern, ihr würdet ungläubig,
so wie sie ungläubig sind, so daß ihr ihnen gleich wäret" (4,89). Der
Text fährt fort: "Und wenn sie sich abwenden, dann greift sie und tötet
sie, wo immer ihr sie findet, und nehmt euch niemand von ihnen zum Freund
oder Helfer!" (4,89) Gelegenheit
zur Reue und Gefängnis
Dieser
Vers wurde als unmittelbare Anweisung für die Behandlung eines Apostaten
aufgefaßt, und die Todesstrafe als eigentliches Strafmaß für Apostasie
festgesetzt. Der berühmte Kairiner Theologe Muhammad Muhammad Abû Zahra
(1898-1974) spricht von drei Fällen, in denen über einen Muslim die Todesstrafe
verhängt werden darf: bei Apostasie, bei Unzucht nach rechtlich gültiger
Eheschließung und bei Mord, der keine Blutrache ist[7]. Die
Anweisung zur Tötung des Apostaten wurde allerdings nicht in erster Linie aus
dem Koran, sondern vor allem aus der islamischen Überlieferung abgeleitet, da
die Überlieferungen aus der Zeit Muhammads hier eine viel eindeutigere
Sprache sprechen: "Wer seine Religion wechselt, den tötet"[8],
und "Wer sich von euch trennt (oder von euch abfällt), der soll
sterben"[9].
Muhammad soll nach der Überlieferung selbst auf unrechtmäßige Art und
Weise Abtrünnige vom Islam, die einige seiner Gefolgsleute getötet und einige
Kamele der Muslime weggetrieben haben sollen, verstümmelt und getötet
haben. J. Schacht berichtet von dem Versuch, dieses Vorgehen Muhammads in
der Überlieferung zu rechtfertigen[10],
da es keine klare Koranoffenbarung gab, die dieses Vorgehen befohlen hätte.
Darüberhinaus existieren Traditionen, nach denen Muhammad nach der Einnahme
seiner Vaterstadt Mekkas zum Ende seines Lebens zwei Apostaten, die einen
Muslim getötet hatten sowie einen weiteren Apostaten, gegen den nichts
strafbares vorlag, umbrachte[11]. Nach
den Quellen zu urteilen scheint die Todesstrafe für Abtrünnige nach
Muhammads Tod auch vollstreckt worden zu sein[12],
und heute besteht in der sunnitischen und schiitischen Rechtswissenschaft
weitgehend Einigkeit darüber, daß Apostasie, Gotteslästerung, die Verspottung
des Propheten und der Engel mit dem Tod zu bestrafen sei. Allerdings nuß
das Vergehen des Glaubensabfalls eindeutig festgestellt werden. Das ist der
Fall, wenn der Tatbestand der Gotteslästerung vorliegt oder die Herabsetzung
Muhammads, die Leugnung der Notwendigkeit, die fünf Säulen des Islam
einzuhalten, wenn Handlungen vollzogen werden wie die Verehrung von Götzen,
die geringschätzige Behandlung des Korans, Zauberei oder das Überwechseln
auf die Seite der Feinde des Islam. Verfolgung
durch die Familie
Apostasie
ist grundsätzlich ein Vergehen, das staatlich verfolgt und vor Gericht verhandelt
wird, sofern es zur offiziellen Anklage kommt und nicht schon vor dem
Gerichtsverfahren eine anderweitige 'Lösung' gefunden wird, wie z. B. die
Verstoßung des Abgefallenen aus der Familie und seine Flucht ins Ausland
oder sogar seine Tötung durch Verwandte, um die 'Schande' des Abfalls von
der Familie abzuwaschen. Wenn
ein Apostasiefall vor Gericht kommt, muß der Abfall in der Regel von zwei männlichen
Zeugen bestätigt werden können[13].
Um über Schuld oder Unschuld des Angeklagten entscheiden zu können, kann
der Richter den Angeklagten auffordern, das islamische Glaubensbekenntnis
auszusprechen ("Es gibt keinen Gott außer Gott, und Muhammad ist sein
Prophet"). Die Weigerung, das Bekenntnis auszusprechen, kann schon als
Beweis für den Glaubensabfall gelten. Der
Abtrünnige muß, damit es zu einer Verurteilung kommen kann, im Vollbesitz
seiner geistigen Kräfte sein. Er durfte zum Zeitpunkt des Abfalls nicht
unter Zwang stehen oder betrunken sein. Kinder und geistig Behinderte können
also gar nicht und Frauen nur unter bestimmten Umständen der Anklage der
Apostasie verfallen, wobei die verschiedenen Rechtsschulen hinsichtlich
der vollen Schuldfähigkeit der Frauen stark unterschiedliche Aussagen
machen. Die
drei sunnitischen Rechtsschulen der Shâfi'iten, Malikiten und Hanbaliten
machen prinzipiell keinen Unterschied zwischen dem Glaubensabfall von
Mann oder Frau. Die Malikiten verlangen eine Aussetzung der Strafe im
Falle von Schwangerschaft und Stillzeit. Die Hanafiten lassen die
Todesstrafe nur an männlichen Muslimen vollstrecken. Sie und die Schiiten
treten in Analogie zu Sure 24,2 und 4,15 für ein Verfahren ein, nach dem
eine vom Islam abgefallene Frau durch Schläge umgestimmt werden soll, die sie
alle drei Tage oder auch täglich erhält, sowie durch Gefängnis[14].
Der Vater der hanafitischen Rechtsschule, Abû Hanîfa, nannte für Frauen
auch die Möglichkeit, in die Sklaverei verkauft zu werden[15].
- So zumindest die Theorie. In
der Praxis scheinen Apostasiefälle nicht sehr häufig vor Gericht verhandelt
zu werden. Dort, wo Muslime vom Islam abfallen, weil sie Christen geworden
sind, scheinen sie sich eher vor einer inoffiziellen Bestrafung durch die
eigene Familie oder auch Unbeteiligte anstatt vor der Verurteilung durch
einen Richter fürchten zu müssen, zumal die Privatrache der
Gerichtsverhandlung oft zuvor zu kommen scheint, sobald ein Muslim offiziell
seinen Abfall vom Islam erklärt hat. Außerdem erregen Gerichtsverfahren
wegen Glaubensabfalls in der westlichen Welt oft starkes Aufsehen. Zwar
soll ein Apostat ein ordentliches Gerichtsverfahren erhalten, aber in der
Praxis ist ein Muslim, der einen Apostaten tötet, ohne daß dieser ausreichend
Gelegenheit zur Reue oder ein Gerichtsverfahren erhalten hat, nicht des Mordes
schuldig. Er wird wohl kaum einmal seines Vergehens wegen angeklagt werden,
obwohl er eigentlich falsch gehandelt hat. Er könnte in der Theorie
allenfalls für sein voreiliges Vorgehen belangt werden, da er den ordnungsgemäßen
Gang des Gerichtsverfahrens nicht abgewartet hat. Der Betreffende könnte
jedoch nicht für Mord belangt werden, da die Tötung des Apostaten an sich
kein Vergehen ist[16].
Der Richter kann dieses voreilige Handeln nach eigenem Ermessen mit einer
richterlichen Ermahnung oder einer geringen Strafe ahnden[17].
Der Apostat befindet sich sozusagen in einem Zustand der Vogelfreiheit und
kann sich auf keinen Rechtsschutz berufen[18].
Derselbe Fall tritt ein, wenn der Fall der Apostasie zwar vor ein Gericht
gebracht wird, dieses aber nicht die Todesstrafe verhängt. Auch dann
vollstreckt der Mörder des Apostaten nur das geltende Recht, wie der
islamische Rechtsdogmatiker Abdul Qader 'Oudah Shaheed betont, denn die Verhängung
der Todesstrafe ist gemäß des islamischen Gesetzes, der sharia, für
Apostasie kein Recht, sondern eine Pflicht für jeden Muslim[19]. Ungeachtet
dieser harten Bestimmungen kommt es in der Praxis nicht immer zu einer Tötung
des Apostaten, entweder, weil der Apostat sich durch Flucht der drohenden
Strafe entziehen kann oder er in einem Umfeld lebt, das die Strafe zwar
androht, aber doch nicht vollzieht. Außer unter der unmittelbaren
Strafverfolgung hat ein Apostat jedoch meist unter weiteren Konsequenzen zu
leiden: Verlust
von Familie, Heimat und Besitz
Unabhängig
davon, ob ein Apostat zu Tode kommt, werden weitere Maßnahmen gegen ihn
ergriffen, wie z. B. die Konfiszierung seines Besitzes. Die verschiedenen
Rechtsschulen vertreten unterschiedliche Ansichten hinsichtlich der Frage,
ob jeglicher Besitz eingezogen wird oder nur derjenige, der erworben
wurde, seit der frühere Muslim zum Apostaten wurde[20].
Bei den Hanafiten erhält der Abgefallene seinen Besitz zurück, wenn er
sich wieder dem Islam zuwendet, bei den anderen drei Rechtsschulen geht der
Besitz beim Tod des Apostaten in Staatsbesitz über[21].
Meist verliert der Abgefallene noch vor dem Prozeß seine Arbeitsstelle.
Seine Familie wird ihn vielleicht versuchen, einer Umerziehung durch einen
islamischen Geistlichen zu unterwerfen, ihn dann - wenn das nichts nützt -
ins Ausland schicken oder aus der Familie ausstoßen. Seine Ehe wird
automatisch aufgelöst, denn die Ehe mit einem Apostaten ist vor dem Gesetz
eine illegale Ehe. Damit lebt ein männlicher Konvertit zum Christentum mit
seinem Religionswechsel plötzlich im Ehebruch mit seiner eigenen Frau, und
wenn sie sich nicht von ihm trennt, kann sie wegen Ehebruch gesteinigt
werden. Außerdem darf eine muslimische Frau nicht mit einem Nicht-Muslim
verheiratet sein. Eine Rückkehr zum islamischen Glauben bedingt auch die
Notwendigkeit einer erneuten rechtlichen Eheschließung. Weitere, aber jeweils
unterschiedlich bewertete Folgen ergeben sich im Hinblick auf das Erb- und
Eigentumsrecht eines Abgefallenen[22],
im Normalfall wird ein Apostat enteignet. Begibt sich ein Apostat ins
nichtmuslimische Ausland, gilt er in seinem Heimatland als tot, und seine
Erben erhalten seinen Besitz[23]. Abfall
ist Gotteslästerung
Uneinigkeit
herrscht bei muslimischen Theologen ferner über die Frage, ob ein Abgefallener
vor seiner Verurteilung zur Wiederannahme des Islam ermahnt werden muß,
also von einem islamischen Geistlichen zum Islam zurückgeführt werden soll. Die
Mehrheit der Theologen befürwortet diese Mahnung zur Umkehr und eine gewisse
Zeitspanne (z. B. drei Tage) als Bedenkzeit zur Reue (arab. tauba). Auch
hier gilt wieder, daß derjenige keine richterliche Strafe zu erwarten hat,
der dem Abgefallenen keine ausreichende Möglichkeit zur Buße einräumt. Die
Malikiten verbieten, den Inhaftierten während der Bedenkzeit zu schlagen.
Sie lehnen es ab, den Abgefallenen, wenn der Richter seinen Tod angeordnet
hat, auf einem muslimischen Friedhof zu begraben[24].
Wenn der Abgefallene jedoch bereut, ist er wieder als Muslim zu behandeln.
Schwieriger ist die Rückkehr, wenn er mehrmals vom Islam abgefallen
ist. Die Malikiten und Hanbaliten fordern dann seinen unbedingten Tod,
ungeachtet seiner eventuellen Reue[25],
während die
Shâfi'iten jede erneute Umkehr vom Abfall als echte Buße annehmen. Uneinigkeit
herrscht in der Theologie auch darüber, ob ein Unterschied zwischen einem
abgefallenen Konvertiten zum Islam und einem als Muslim geborenen und später
Abgefallenen gemacht werden soll. Ferner vertreten muslimische Theologen
verschiedene Ansichten in der Frage, ob Reue über den Abfall das Todesurteil
aufheben kann oder nicht. Nach schiitischer Meinung wird das Urteil durch
Reue nicht aufgehoben[26].
Dies mag einer der Gründe dafür sein, weshalb
Salman Rushdies Todesurteil, das der schiitische Theologe Ayatollah
Khomeini wegen Rushdies gotteslästerlichen Romans 'Satanische Verse' über
ihn in einem Fatwa (Rechtsgutachten) am 14. 2. 1989 verfügt hatte, auch dann
nicht aufgehoben wurde, als Salman Rushdie längst öffentlich die Abfassung
des Buches bereut hatte. Als in Bombay geborener und in England
aufgewachsener Muslim darf sich Salman Rushdie zeitlebens nicht abfällig
über den Islam, den Koran, die Engel oder den Propheten Muhammad äußern
oder sie beleidigen, da damit der Tatbestand der Apostasie gegeben ist. Kreuzigen
oder enthaupten
Die
islamischen Autoritäten verlangen, daß der Apostat - wenn seine Schuld
erwiesen ist - mit dem Schwert
enthauptet und nicht gequält oder gefoltert werden soll. Die Todesstrafe
kann aber auch auf andere Weise vollstreckt werden. Auch die Kreuzigung stellt
eine Möglichkeit dar. Eine Tradition, die auf die Lieblingsfrau Muhammads,
Aischa, zurückgeführt wird, besagt, daß Apostaten getötet, gekreuzigt
oder verbannt werden sollen[27].
Auch der Kalif 'Umar II. soll Apostaten zuerst an einen Pfahl gebunden und
sie dann mit einer Lanze durchbohrt haben[28].
Otto Spies nennt einige weitere Beispiele aus der islamischen Geschichte
für die Kreuzigung von Apostaten[29].
Das wohl berühmteste Beispiel ist vielleicht die Verurteilung des Mystikers
al-Hallâj, der aufgrund seiner unorthodoxen islamischen Lehren im Jahr 922
n. Chr. in Bagdad als Ketzer gekreuzigt wurde. Aber
die Kreuzigung ist nicht nur bei Apostaten zur Anwendung gekommen. Das islamische
Recht nennt diese Hinrichtungsart z. B. für schweren Straßenraub (arab. qat'
at-tarîq) außerhalb einer Ortschaft, sofern er mit Mord oder Totschlag
verbunden ist. Aber auch Rebellen, Aufrührer und Ketzer sollen gekreuzigt
worden sein[30].
Auseinander geht die Meinung darüber, ob der Täter erst getötet und dann
noch zur Abschreckung gekreuzigt oder aber bei lebendigem Leib gekreuzigt
wurde. Die
islamische Theologie hat den Ketzer (arab. zindîq), also denjenigen, der
sich für einen Muslim ausgibt, aber dabei in Wirklichkeit ein Ungläubiger
ist, neben den Apostaten gestellt. Die Malikiten und Hanbaliten fordern seine
Tötung, ohne daß er vorher zur Reue aufgefordert wurde und unabhängig
davon, ob er seine Sünde vor seinem Tod noch einmal bereut, denn für sie ist
der Ketzer gleichbedeutend mit dem im Koran so ausdrücklich verurteilten
Heuchler (arab. munâfiq). Damit ist seine Bestrafung also noch härter als für
den Apostaten. Wenn der Ketzer nach seiner Reue getötet worden ist, kann er
auf einem muslimischen Friedhof beerdigt werden, denn er wird dann als Gläubiger
betrachtet, der für sein Fehlverhalten und nicht als Ungläubiger getötet
wurde[31].
Die Hanafiten und Shâfi'iten verlangen nicht die Tötung des Ketzers, sofern
er bereut[32]. Ein
Wunder Gottes:
Der Islam droht dem Abgefallenen, ob er nun zum Christentum übertritt oder
der Religion ganz den Rücken kehrt, harte Strafen an. Vertreibung, Enterbung,
Scheidung, Verlust der Familie und des Arbeitsplatzes, Drohungen, Schläge,
Folterungen, Einschüchterungen, Gefängnis, ja der Tod sind reale Möglichkeiten
für jeden Muslim, der sich dem christlichen Glauben zuwendet. Selbst wenn
nicht alle dieser Sanktionen jeden Konvertiten zum Christentum treffen, sind
sie doch stets eine reale Möglichkeit. Nur sehr selten geschieht es, daß
die Familie des Konvertiten für den neuen Glauben des Abgefallenen Verständnis
aufbringt oder sogar selbst zum Christentum konvertiert. Wo das nicht
geschieht, lebt der Konvertit in ständiger Gefahr vor Entdeckung und Verfolgung.
Er muß sich mit anderen Christen heimlich treffen und findet in einer
Gemeinde, die sich vielleicht vor muslimischen Spionen fürchtet und daher mißtrauisch
ist, unter Umständen gar nicht die herzliche Aufnahme und Liebe, die er
dringend braucht. Aber aller Verfolgung und allen Schwierigkeiten zum Trotz wächst
die Zahl der Konvertiten in der islamischen Welt beständig an. Es scheint,
als ob heute dort mehr Menschen Christen werden als jemals zuvor. Gott baut
seine Gemeinde, und zwar auch dort, wo sie nach menschlichen Überlegungen
eigentlich gar nicht existieren dürfte.
[1]J. Schacht. Katl. in: Encyclopaedia of Islam, Vol. IV, E. J. Brill: Leiden, 1990, S. 766-772, hier S. 771 [2]Adel El Baradie. Gottes-Recht und Menschenrecht. Grundlagenprobleme der islamischen Strafrechtslehre. Nomos: Baden-Baden, 1983, S. 124 [3]So 'Abd al-Rahmân al-Djazîrî. kitâbu l-fiqh 'alâ l-madhâbihi l-'arba'a. Kairo 1934/1987/8 (Deutsch: Die Strafen für den Abfall vom Islam nach den vier Schulen des islamischen Rechtes. Aus dem Arabischen übersetzt von Ishak Ersen. Licht des Lebens: Villach, 1991, S. 11-12 [4]So 'Abd al-Rahmân al-Djazîrî. kitâb. Bd. 5, S. 422-440. zitiert nach Ersen. Strafen. S. 12 [5]'Abd al-Rahmân al-Djazîrî. kitâb. Bd. 5, S. 422-440. zitiert nach Ersen. Strafen. S. 13-14 [6]Heribert Busse; Martin Honecker. Gottes- und Weltverständnis in Islam und Christentum. EZW-Texte. Informationen Nr. 123 IX/1993. EZW: Stuttgart, 1993, S. 18. Auch die Ahmadîya-Bewegung, die heute als Sekte betrachtet und in Pakistan von der muslimischen Regierung verfolgt wird, spricht sich gegen die Todesstrafe bei Abfall vom Glauben aus. [7]Muhammad Abû Zahra. al-'uqûba. S. 172; ebenso Ibrâhîm Ahmad al-Waqfî. hudûd. S. 269; zitiert nach Koran. Übersetzung v. Khoury. Bd. 2. S. 94 [8]So die Überlieferung von Buhârî. sahîh. Bd. IV. S. 126. Zitiert nach Der Koran Arabisch-Deutsch. Übersetzung und wissenschaftlicher Kommentar von Adel Theodor Khoury. 10 Bde. Bd. 2: Sure 2,75-2,212. Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn: Gütersloh, 1991, S. 94 [9]Schacht. Katl. S. 771 [10]Schacht. Katl. S. 771 [11]Schacht. Katl. S. 771 [12]Koran. Übersetzung v. Khoury. Bd. 2. S. 95 [13]Koran. Übersetzung v. Khoury. Bd. 2. S. 95-96 [14]Koran. Übersetzung v. Khoury. Bd. 2. S. 96 [15]Schacht. Katl. S. 771 [16]Eine
Ausnahme machen laut Shaheed nur die Malikiten, die die vorzeitige private
Tötung des Apostaten als schweres Vergehen betrachten, das eine Bußzahlung
verlangt. Abdul Qader
'Oudah Shaheed. Criminal Law of Islam. 3 Bde. International Islamic
Publishers: New Delhi: 1991, Bd. 2, S. 258 [17]So Erwin Gräf. Die Todesstrafen des islamischen Rechts. in: Bustan. (Wien) Heft 4/1962. S. 8-22 und Heft 1/1965. S. 9-22, hier S. 15 [18]Dies
bestätigt auch die muslimische Rechtsdogmatik des Shaheed. Law.
Bd. 2, S. 257 [19]Shaheed.
Law. Bd. 2, S. 258-259 [20]Shaheed.
Law. Bd. 3, S. 59 [21]'Abd al-Rahmân al-Djazîrî. kitâb. Bd. 5, S. 422-440. zitiert nach Ersen. Strafen. S. 23 [22]Koran. Übersetzung v. Khoury. Bd. 2. S. 97-98 [23]Gräf. Todesstrafen. S. 21 [24]'Abd
al-Rahmân al-Djazîrî. kitâb. Bd. 5, S. 422-440. zitiert nach Ersen. Strafen.
S. 17-18 [25]'Abd
al-Rahmân al-Djazîrî. kitâb. Bd. 5, S. 422-440. zitiert nach Ersen.
Strafen. S. 52 [26]Abdoljavad Falaturi. Abfall vom Islam. In: Lexikon der Islamischen Welt. Hg. von Klaus Kreiser und Rotraud Wielandt. Überarbeitete Neuausgabe. Verlag W. Kohlhammer: Stuttgart, 1992. S. 17-18 [27]Genaue Angaben bei Otto Spies. Über die Kreuzigung im Islam. in: Religion und Religionen. Festschrift für Gustav Mensching zu seinem 65. Geburtstag, dargebracht von Freunden und Kollegen. Ludwig Röhrscheid Verlag: Bonn, 1967. S. 143-156, hier S. 145 mit Quellenangaben (Quelle: Nasâ'î, tahrîm ad-dam, Buch II (=II,169); Qasâma, Buch 13, Abû Dawûd, Hudûd, Buch 1). [28]Spies. Kreuzigung. S. 145 [29]Spies. Kreuzigung. S. 145ff. [30]Beispiele aus der arabischen Literatur bei Spies. Kreuzigung. S. 150ff. [31]'Abd
al-Rahmân al-Djazîrî. kitâb. Bd. 5, S. 422-440. zitiert nach Ersen.
Strafen. S. 25 [32]'Abd al-Rahmân al-Djazîrî. kitâb. Bd. 5, S. 422-440. zitiert nach Ersen. Strafen. S. 27 |
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